Warum ich mich als Fahrgast auf den Bahnstreik freue

Zwischen Sonntag und Dienstag wird die Bahn-Gewerkschaft EVG den Bahnverkehr in Deutschland lahmlegen. Warnstreiks. Damit erhöht sie noch einmal den Druck auf die Bahn und weitere Unternehmen. Die haben das scheinbar auch nötig, kommentiert REVOLTE-Autor Jan Bühlbecker.

Ich wollte eigentlich Anfang nächster Woche eine längere Bahnfahrt unternehmen. Das kann ich jetzt vergessen: Streik.

Und ich bin damit nicht allein: Millionen Pendler*innen, aber auch viele, die zum Beispiel mit dem neuen Deutschlandticket übers erste gefühlte Sommer-Wochenende mit der Bahn wegfahren wollten, können ihre Pläne jetzt vergessen.

Das tut mir natürlich leid.

Ein Streik bei der Bahn, der die Mobilität von uns allen einschränkt, ist nämlich hart. Deswegen bin ich auch wütend – aber eben nicht auf die Gewerkschaft, die streikt, sondern auf die Bahn, die ihre Mitarbeitenden zum Streiken zwingt!

Unverschämte Bahn-Politik

Die Beschäftigten bei der Bahn haben in den letzten Jahren Immenses geleistet. Da war der Corona-Stress mit all seinen Konsequenzen und die Mehrbelastung durch das 9-Euro-Ticket.

Was nicht da war: Anerkennung für die Leistung der Kolleg*innen.

Ein Beispiel: Zum Zeitpunkt der Mindestlohn-Erhöhung haben 6.000 Bahn-Beschäftigte weniger als 12€ pro Stunde verdient. Und heute verdienen IMMER NOCH die 2.000 Beschäftigten in der untersten Lohngruppe weniger als den Mindestlohn. Auf 12€ kommen sie nur mit Zulagen, ihr Grundgehalt wäre tatsächlich gesetzeswidrig!

Die Forderung der Bahn-Gewerkschaft EVG ist für sie darum eine rückwirkende Lohnerhöhung. Die ist nur fair, denn jeder Monat, in dem die Bahn Grundgehälter unterm Mindestlohn bezahlt hat, sind eine Schande für den Staatskonzern! Und: Die hohe Inflation der letzten Monate hat die Kolleg*innen in den untersten Lohngruppen am stärksten herausgefordert – DAS MUSS AUSGEGLICHEN WERDEN. Darum fordert die EVG auch mindestens 650€ mehr pro Monat für jede*n Beschäftigte*n, das entspreche durchschnittlich 12%. Ein Inflationsausgleich wäre das, mehr nicht.

Doch SELBST DEN verweigert die Bahn. Und auch bei ihrem eigentlichen Angebot trickst sie: Denn auch im aktuellen Angebot an die Gewerkschaft will die Bahn bei den untersten Lohngruppen sparen. Ihr Vorschlag: Egal, was für Gehaltserhöhungen eigentlich vereinbart werden, in den unteren Lohngruppen soll auch zukünftig niemand über 13€ pro Stunde verdienen können. Heißt: Ein Einkommensdeckel für die Einkommensschwachen – Das ist das GEGENTEIL der EVG-Forderung.

Hinzu kommt: Die EVG fordert 12 Monate Laufzeit, die Bahn bietet 27. Jedes Bahn-Angebot muss darum für den Vergleich mit der Forderung halbiert werden. Das zeigt wie wenig wert die von der Bahn angebotenen acht bis zehn Prozent tatsächlich sind.

Und in diesem Kontext muss man das aktuelle Angebot der Bahn sehen: als einen Angriff auf die Solidarität. 

Streik für Solidarität, Solidarität für Streik

Dagegen streikt die EVG. Das finde ich richtig: Der gewerkschaftliche Ansatz, dass in dieser Tarifrunde diejenigen am stärksten profitieren müssen, die bislang am wenigsten bekommen, zeigt, dass die EVG – anders als die Bahn – die gegenwärtige Situation verstanden hat.

Wenn es erneute Warnstreiks braucht, um auch das staatseigene Unternehmen auf Kurs zu bringen, dann ist das bitter. Aber offensichtlich ist das so. Und darum verdient die EVG unsere Unterstützung.

Meine haben die Kolleg*innen.

Trotz aller Unannehmlichkeiten.


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team