Warum die Vier-Tage-Woche unsere Demokratie wehrhaft macht

Viele Argumente sprechen für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich: Die Gesundheit der Beschäftigten wird geschützt, eine gerechtere Aufteilung von Care-Arbeit ermöglicht, der Fachkräftemangel bekämpft und die Produktivität gesteigert. Doch noch ein weiterer Punkt ist ausschlaggebend. Ein Kommentar von Jan Bühlbecker.

Kein Sommerloch kommt ohne Debatte über “die Jugend von heute” aus. Meist wird erst gejammert, dann von gesellschaftlichem Zusammenhalt geschwafelt, um anschließend eine Dienstpflicht, ein Gesellschaftsjahr oder sonst wie benannte Zwangsarbeit für junge Leute fordern zu können.

Mich nervt das. Seit Jahren schon. Weil die Debatte mit der gesellschaftlichen Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

Bislang diskutieren wir am Thema vorbei

Zum einen, weil die Dienstpflicht-Pflichtjahr-Befürworter*innen so – durch die Hintertür – etwas gegen den Personalmangel in den sozialen Berufen tun wollen, statt DIE PROBLEME WIRKLICH AN DER WURZEL ZU PACKEN.

Beispiel Pflege: Studien zeigen, dass eine breite Mehrheit der ausgebildeten Pflegekräfte, die sich einen anderen Job gesucht haben, in die Pflege zurückkehren würden, wenn die Politik die Arbeitsbedingungen verbessern würde. GEREGELTERE ARBEITSZEITEN, BESSERE PERSONALAUSSTATTUNG, MEHR GELD. Keine Pflegekraft wünscht sich Zwangsarbeit. Dienstpflicht? Hilft nicht!

Zum anderen aber – und vor allem! – weil junge Menschen sich LÄNGST für Demokratie und Gesellschaft engagieren, OBWOHL IHNEN DABEI STEINE IN DEN WEG GELEGT WERDEN. Sei es Fridays For Future, Seebrücke-Initiativen oder in Gewerkschaftsjugenden: Junge Menschen engagieren sich auf vielfältige Weise. Und die, die das noch nicht machen, haben oft gute Gründe: Dass es anstrengend ist, während mittlerweile drei Corona-Jahren seine Ausbildung abzuschließen, zum Beispiel, oder weil das Bafög ausläuft, wenn die Regelstudienzeit überschritten wird.

Statt also weiter über ein Pflichtjahr zu diskutieren, sollte die Politik viel lieber ihre HAUSAUFGABEN MACHEN. Und die Beteiligungschancen junger Menschen stärken. Und hier wird es RICHTIG DREIST: Denn fast immer sind die größten Anhänger*innen eines Zwangsjahres GLEICHZEITIG auch die größten Gegner*innen des Wahlrechts ab 16. Ausgebeutet malochen? Klar! Dafür mitbestimmen? Lieber nicht.

Zu wenig Ehrenamt? Daran liegt es!

Und damit sind wir bei der Vier-Tage-Woche. Denn mehr gesellschaftliches Engagement braucht es in allen Altersgruppen! Dafür, dass die politischen Parteien zum Beispiel SEIT JAHRZEHNTEN Mitglieder verlieren, können unter 25-Jährige schließlich nun wirklich nichts.

Aber auch bei nicht-mehr-ganz-so-jungen Leuten liegt das fehlende Engagement nicht an Gleichgültigkeit – im Gegenteil: In den meisten Fällen sind es ähnliche Gründe, die es UNMÖGLICH machen, neben Beruf und Familie auch noch im Ehrenamt Verantwortung zu übernehmen.

ÜBER EINE MILLIARDE ÜBERSTUNDEN müssen jedes Jahr in Deutschland gemacht werden. Auch die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf stimmen IMMER NOCH NICHT, weil der KiTa-Ausbau stockt, die Kindergrundsicherung von der FDP blockiert wird und die flächendeckende Ganztagsbetreuung für Schulkinder noch nicht überall umgesetzt worden ist.

Darüber hinaus bilden sich viele Arbeitnehmer*innenneben dem Job privat weiter, um trotz Digitalisierung am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Denn bislang ist der technische Fortschritt vieles, aber nicht gerecht verteilt: Automatisierung durch neue Maschinen führt zum Beispiel in vielen Fabriken zu Arbeitsplatzabbau statt Arbeitszeitverkürzungen. Auch diese Ängste binden also Ressourcen, die in anderen Bereichen fehlen. DAS KANN ES DOCH NICHT SEIN!

Gleiches gilt auch für Rentner*innen: Mehr als jede*r vierte*r von ihnen hat ein monatliches Bruttoeinkommen von unter 1.000€. Kein Wunder, dass jede*r zweite*r von ihnen deswegen weiter arbeiten geht. Hinzu kommt Sorgearbeit, die Senior*innen für – meist jüngere – Familienmitglieder übernehmen und die schlechtere Gesundheit vieler Menschen im Alter. Auch da bleibt unterm Strich wenig Raum für Engagement und Ehrenamt.

Mehr Zeit – damit die Demokratie weiter wachsen kann

Zeit ist ein krass-wertvolles Gut. Und seine Verfügbarkeit für junge Menschen in der Ausbildung, lohnabhängig Beschäftigte und Rentner*innen bedroht.

Dabei sind Ehrenamt und politisches sowie zivilgesellschaftliches Engagement für eine Demokratie wichtig. Mehr noch: Eine demokratische Gesellschaft kann nicht ohne Menschen, die sich in ihr und für sie engagieren, überleben!

Deswegen ist es auch richtig, dass wir darüber sprechen, wie wir Engagement und Ehrenamt stärken können. Aber wir solltennach richtigen Lösungen suchen – und nicht beim erstbesten Vorurteil gegen “faule Jugendliche” mit dem Denken aufhören!

Als zuletzt über eine Dienstpflicht diskutiert wurde, habe ich die Forderung schon einmal hier auf REVOLTE analysiert. Mein Fazit: Um jungen Menschen Raum und Zeit für ihren Einsatz zu geben, braucht es eine Kindergrundsicherung, eine umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie, ein Verbot von sachgrundlosen Befristungen, damit junge Leute nach dem Berufseinstieg Planungssicherheit haben, Azubitickets und -wohnheime sowie längere Regelstudienzeiten und das Wahlalter 16. Um Senior*innen gesellschaftliches Engagement zu ermöglichen, muss die Grundrente ausgeweitet, die Zwei-Klassen-Medizin überwunden und die standortnahe medizinische Versorgung gesichert werden.

Mit der Vier-Tage-Woche im Einsatz für die Demokratie

Menschen dazwischen, also die gesellschaftliche Mehrheit der Erwerbstätigen, würde hingegen die Vier-Tage-Woche besonders helfen. Klar, Kapitalismus und Patriarchat sind damit noch nicht überwunden. Aber immerhin hätte man mit ihr hätte mehr Zeit für Care-Arbeit, für Weiterbildung, Hobbies und eben auch die ehrenamtliche Trainer*innenstelle im Sportverein oder den politischen Stammtisch in der Nachbar*innenschaft.

Und das täte unserer Gesellschaft gut. Weil Leute wieder mehr Verantwortung füreinander und ihr Quartier übernehmen könnten. Weil Parteien und Gewerkschaften und mit ihnen die politische Auseinandersetzung gestärkt würden. Weil die Zivilgesellschaft belebt und damit neue Impulse für eine freiere und gerechtere Gesellschaft insgesamt gesetzt würden.

Die Vier-Tage-Woche ist umsetzbar. Das belegen Studien. Die SPD-Chefin Saskia Esken hat sie in die politische Auseinandersetzung geholt. Die IG Metall wird sie in die betriebliche Praxis bringen.

Und an uns ist es, für sie laut zu sein. Und zu bleiben. Damit wir auch im nächsten Sommerloch ganz sicher nicht überhört werden.

Denn damit stärken wir unsere Demokratie!


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team