Der Machthunger der Grünen hat sie von ihren Werten befreit.
Ein Kommentar von Carla von Frieling.
Spätsommer 2020. Vor dem Bundestag stehen 13.000 Stühle als Zeichen der Aufnahmebereitschaft für schutzsuchende Menschen aus Lagern an den EU-Außengrenzen. Ganz vorne mit dabei: Renate Künast und Claudia Roth von den Grünen. Knapp drei Jahre später scheint sich ihre Meinung zu Lagern grundlegend geändert zu haben.
Jeder Stuhl symbolisiert einen freien Platz in Deutschland für eine geflüchtete Person. Organisiert wurde die Aktion von einem Bündnis verschiedener antirassistischer Gruppen wie Campact, Sea Watch oder der Seebrücke. Auch die Grünen nahmen Stellung zur humanitären Katastrophe an den europäischen Außengrenzen und zeigten sich solidarisch.
Mittlerweile ist die Partei in der Regierung und es scheint, dass mit der plötzlichen Macht ein Verfall ihrer ursprünglichen Werte einhergeht. Zwar hatte die Partei noch verkündet, sich im sogenannten “Asylkompromiss” zumindest für Familien und Minderjährige einzusetzen, davon war am Donnerstag beim Treffen der EU-Innenminister*innen aber nicht mehr viel zu merken. Mit der Zustimmung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) entschied sich die Ampelregierung dafür, das Leid von Geflüchteten noch zu vergrößern.
Grüne unterstützen menschenunwürdige Lager
Die Grünen befürworten somit Grenzverfahren, also Asylverfahren, die an den Außengrenzen durchgeführt werden. Dazu werden Menschen, die eine traumatische Flucht hinter sich haben und damit gerechnet haben, in Europa in Sicherheit zu sein, in überfüllte Lager gesperrt. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten ist mangelhaft, Menschen werden provisorisch in Zelten untergebracht und es ist ihnen nicht erlaubt, das Gelände zu verlassen. Das ist kein “Camp”, wie es so gerne genannt wird, sondern ein Gefangenenlager. Dass die Grünen dieses Vorgehen unterstützen ist erschreckend, waren sie früher doch einige der wenigen Parteien in Deutschland, die nach Werten gehandelt haben.
Mit Macht verfällt die Moral
Offensichtlich fiel es der Partei leicht, große Reden zu schwingen und sich medienwirksam vor dem Bundestag zu inszenieren und dabei gleichzeitig von zivilgesellschaftlichen Bündnissen zu profitieren. Besonders bitter: Die Organisationen, mit denen sich Roth und Künast präsentiert haben, arbeiten seit Jahren unermüdlich an einer Verbesserung der Situation von Geflüchteten und wurden im Endeffekt von den Grünen nur instrumentalisiert, um ein besseres Bild von sich zu zeichnen. Genau so hat die Partei Geflüchteten Hoffnung gemacht, dass sie sich für sie einsetzen würden und Wähler*innen vorgegaukelt, sie würden mit gesundem Menschenverstand handeln und tatsächlich das tun, was in ihrem Parteiprogramm steht.
Macht verändert Menschen und zwar anscheinend so sehr, dass es wichtiger ist, in der Regierung zu sein, als dafür einzustehen, woran man glaubt. Und hier geht es nicht um eine kleine Entscheidung, bei der die Partei “eingeknickt” ist, das hier ist ein tiefgreifender und langfristiger Beschluss, der auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die es am meisten zu schützen gilt. Nie wieder sollten die Grünen von “Menschenrechten” und “Gerechtigkeit” sprechen, nie mehr mit NGOs oder, noch schlimmer, Geflüchteten posieren, nur um ihnen dann ein Messer in den Rücken rammen.
Antirassismus und Antifaschismus sind nur so lange cool gewesen, solange es den Weg in die Regierung geebnet hat. Einmal dort angekommen, gilt plötzlich das Recht des Stärkeren. Man kann nur hoffen, dass die Grünen bei der nächsten Wahl aus der Regierung fliegen, denn das müsste ja bedeuten, dass mit dem Verlust der Macht auch das moralische Verständnis wiederkehrt.