Statt Vorschlägen zur Verbesserung der Unterstützung psychisch kranker Menschen macht Friedrich Merz nach der Messerattacke in Aschaffenburg populistischen Wahlkampf auf ihre Kosten.
Nach einem Messerangriff auf eine Kitagruppe am 22. Januar 2025 in Aschaffenburg, bei dem ein zweijähriges Kind und ein 41-jähriger Mann getötet sowie drei weitere Menschen verletzt wurden, geht das populistische Wetteifern um die radikalsten Forderungen zur Beschneidung des Asylrechts in eine weitere Runde.
Politiker*innen aller Parteien nutzen die starken emotionalen Reaktionen – Trauer, Unverständnis, Wut –, die auf solche Gewalttaten folgen, um Wahlkampf zu machen. Und dies auf dem Rücken von Geflüchteten, Asylsuchenden und psychisch kranken Menschen.
CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz forderte schon an Tag eins nach dem Angriff in einem “Fünf-Punkte-Plan” unter anderem dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen, ein “faktisches Einreiseverbot” – auch für Menschen mit Anspruch auf Asyl – und das Festhalten von ausreisepflichtigen Menschen in Abschiebezentren bis zur erzwungenen Abschiebung.
Um einfache Lösungsvorschläge auf komplexe Fragestellungen zu präsentieren, lässt Merz wichtige Tatsachen unter den Tisch fallen: Deutschland verpflichtet sich, beim Thema Migration europäisches Recht einzuhalten. Merz Ideen würden eindeutig gegen diese Vereinbarungen verstoßen. Doch welche Rolle spielt europäisches Recht, wenn es um den Endspurt der CDU im Wahlkampf geht?
Dauerhafte Grenzkontrollen wären nicht umsetzbar
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stellt klar, dass die Umsetzung von Kontrollen an allen deutschen Grenzen bereits am Personalmangel bei der Bundespolizei scheitern würde. Ein Sprecher der GDP betont im MDR-Radio: die aktuellen Kontrollen von 3.800 Kilometern Grenze lasten die Polizei schon bis zur maximalen Kapazität aus. Es müssten zu dem Zweck etwa 1000 neue Polizist*innen angestellt werden. Woher sollten diese 1000 ausgebildeten Polizist*innen auf einmal kommen?
Ein wichtiger Bestandteil der Freiheit in der EU sind offene Grenzen.
Laut Gesetz ist eine Zurückweisung nur erlaubt, wenn kein Asylantrag gestellt wird oder ein solcher in der Vergangenheit schon abgelehnt wurde. Das EU-Recht verbietet dauerhafte Grenzkontrollen und selbst vorübergehenden Grenzkontrollen unterliegen hohen Anforderungen.
Einreiseverbote für Menschen mit Anspruch auf Asyl sind rechtswidrig
Merz fordert ein “faktisches Einreiseverbot” für Menschen ohne Dokumente, “ausdrücklich auch für ‘Personen mit Schutzanspruch'”. Die Ursachen für fehlende Ausweisdokumente sind vielfältig. Sie sind auf der Flucht verloren gegangen, werden weggeworfen, um das Heimatland zu verbergen oder es gibt aufgrund der Verhältnisse im Heimatland (z.B. aufgrund eines Bürgerkrieges) keine Möglichkeit, diese von den zuständigen Behörden ausstellen zu lassen.
Dennoch darf es keine Strafe für eine Einreise ohne Dokumente geben, sofern sie aus einer Region fliehen, in der ihr Leben oder ihre Freiheit in Gefahr sind. Laut Gesetz muss Personen die Einreise und die Möglichkeit eines Asylverfahrens gewährt werden, wenn sie gegenüber der Bundespolizei ihren Wunsch nach Asyl äußern.
Mehr Menschen in Abschiebehaft führen nicht automatisch zu mehr Abschiebungen
Das Aufenthaltsgesetz schreibt vor, dass Menschen nicht länger als 6 Monate – in seltenen Ausnahmen 18 Monate – in Sicherungshaft festgehalten werden dürfen. Minderjährige und ihre Familien dürfen grundsätzlich nicht in Abschiebehaft genommen werden. Es muss zudem immer überprüft werden, ob der Zweck der Haft “durch ein milderes Mittel erreicht werden kann”.
Es gibt diverse Gründe, die zum Aufschub von Abschiebungen führen können. Fehlende Reisedokumente, familiäre Bindung zu anderen Geduldeten, dringende humanitäre Gründe, Ausbildung und Beschäftigung, die Sicherheitslage im Heimatland oder medizinische Gründe. Zudem zeigen Studienergebnisse, wie aus dem Jahr 2019, dass mehr Inhaftierungen nicht automatisch zu mehr Abschiebungen führen: In diesem Jahr stieg die Zahl um etwa 1000 Inhaftierungen an, während etwa 1500 weniger Abschiebungen durchgeführt wurden.
Dass Merz nach einem härteren Vorgehen in der Flüchtlingspolitik verlangt, ist also eine wirksame Wahlkampftaktik, aber führt nicht zu dem vermeintlichen Ziel, die Sicherheit im Land zu verbessern. Wolfgang Schmidt (SPD), der Chef des Bundeskanzleramts, bezeichnet die Forderungen in der ZDF-Sendung maybrit illner als “schlichtweg rechtswidrig”.
Große Lücken im Psychosozialen Versorgungssystem für Geflüchtete
Was also wären sinnvolle politische Maßnahmen, um solchen Ereignissen wie in Aschaffenburg zuvorzukommen?
Derzeit stehe ein psychiatrisches Gutachten noch aus, um die Schuldfähigkeit des Täters festzustellen. Es lässt sich aber jetzt schon festhalten, dass einer Studie aus dem Jahr 2021 zufolge etwa 30 Prozent der asylsuchenden Menschen in Deutschland unter Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und fast 40 Prozent unter depressiven Symptomen litten. Folgen einer PTBS können unter anderem eine erhöhte Reizbarkeit, Wutausbrüche, Einschränkungen in der Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen und Missbrauch von Alkohol oder Drogen sein.
Dies steht im Kontrast zu den großen Lücken im Versorgungssystem. In den ersten 3 Jahren nach ihrer Ankunft hätten Geflüchtete bloß bei “akuten Beschwerden und Schmerzzuständen” ein Recht auf gesundheitliche Versorgung. Psychosoziale Angebote, die schon vorsorglich angeboten werden, um die Folgen von belastenden oder traumatisierenden Erfahrungen im Heimatland, während der Flucht und in Deutschland aufzufangen, gebe es bisher zu wenig.
Es braucht grundlegende Veränderungen!
Es braucht grundlegende strukturelle Veränderungen. Geflüchtete Menschen sollten diskriminierungsfrei an allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben können. Es braucht mehr Gelder für psychosoziale Hilfen, gesetzliche Regelungen, um Dolmetschende in Therapien einsetzen zu können und diskriminierungskritische Fortbildungen für Fachkräfte, die mit traumatisierten Menschen zusammenarbeiten.
Der aktuelle Zustand in der psychiatrischen Versorgung Geflüchteter ist nicht zumutbar. Forderungen, wie die von Merz, sind nicht umsetzbar und zielen an den tatsächlichen Problemen weit vorbei. Es braucht nachhaltige politische Maßnahmen, Ideen dafür gibt es genug.