Antifaschismus ist (k)ein Verbrechen: Über Gewalt und Selbstverteidigung

Bild von Gregor Fischer auf Flickr

Der Berliner Aktivist und Antifaschist KW-Thomas sitzt seit letztem Jahr in Untersuchungshaft. Neben Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft ihm die Gründung einer kriminellen Vereinigung vor. Die Vorwürfe basieren auf dubiosen Aussagen.

Der Gehweg vor dem Eingang des SO36 in Berlin ist ungewöhnlich voll. Am Abend des 1. Februar stehen hier mehr als 400 Menschen und hoffen auf Einlass. Der Grund ist eine  bevorstehende Podiumsdiskussion, die sich mit dem Fall des inhaftierten Antifaschisten KW-Thomas (Nanuk) beschäftigt. Er sitzt seit Ende letzten Jahres in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Ihm wird die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach §129 des Strafgesetzbuches (StGB) sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. 

Neu sind solche Vorwürfe gegenüber Antifaschist*innen nicht.Thomas’ Anwältin ist Antonia von der Behrens, eine durchsetzungsfähig wirkende Frau, die viel Erfahrung in der Verteidigung in politischen Verfahren und bereits Angeklagte der Türkei-Linken und Mitglieder der kurdischen Bewegung vertreten hat. Sie ist der Meinung, die Umstände hätten sich inzwischen geändert. Der Paragraf 129 ist seit Jahrzehnten in der linken Szene als “Spitzelparagraph” bekannt und wird mit Überwachung und Abhörung in Verbindung gebracht – zu Verurteilungen ist es bisher jedoch selten gekommen.

Im Fall von KW-Thomas spielt das Antifa-Ost-Verfahren eine entscheidende Rolle, da ihm die Unterstützung dieser Gruppe vorgeworfen wird. In Dresden wurde die Antifaschistin Lina E. im Frühjahr vergangenen Jahres wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. 

Neben dem Antifa-Ost-Verfahren zeigt sich die Ausweitung der Anwendung des §129 auch noch an dem Budapest-Komplex: In diesem Zusammenhang wurde Maja T. im Dezember 2023 rechtswidrig – wie das Bundesverfassungsgericht am 6. Februar festgestellt hat – nach Ungarn ausgeliefert. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, im Februar 2023 an Angriffen auf mutmaßliche Teilnehmer*innen eines rechtsextremen Gedenkmarsches in der ungarischen Hauptstadt Budapest beteiligt gewesen zu sein. Maja T. und die weiteren in dem Budapest-Komplex beschuldigten Personen sollen auch Mitglieder in einer kriminellen Vereinigung gewesen sein, deren Ziel es gewesen sei, Nazis in Budapest anzugreifen.   

Das zeigt: Antifaschist*innen müssen in Zukunft mit immer größerer Unterdrückung unter Anwendung des §129 StGB rechnen. Von der Behrens betont, dass der Fall von Thomas kein Einzelfall ist. Ihrer Meinung nach handelt es sich um ein politisch motiviertes Verfahren, das auch als Angriff auf die gesamte antifaschistische Szene verstanden werden könne. Als Beleg führt sie unter anderem an, dass die Bundesanwaltschaft so einen kleinen Fall an sich ziehe und den Vorwurf erhebe, Thomas hätte durch sein angebliches Tun das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt.

Thomas wird aber lediglich vorgeworfen, das Umfeld von Lina E. mit Kampfsport-Trainings unterstützt und 2019 die in rechten Kreisen bekannte Nazikneipe Bull’s Eye in Eisenach überfallen zu haben. 

Die Vorwürfe seien zudem dünn und basierten fast nur auf den Aussagen des Kronzeugen Johannes Domhöver. Er ist aufgrund von Vorwürfen der sexualisierten Gewalt aus der linken Szene Berlins ausgeschlossen worden. Ohne Domhöver hätte der Gewaltvorwurf KW-Thomas gegenüber, laut Thomas Anwältin, keine Grundlage.

2024 sind 727 linksextremistisch motivierte Gewalttaten und 1148 rechtsextremistisch motivierte Straftaten verzeichnet worden. Rechte Gewalt ist KW-Thomas, anderen Antifaschist*innen, migrantisierten Menschen und Ausländer*innen in den 90er Jahren durch Nazis widerfahren. Solingen, Rostock-Lichtenhagen und auch Königs-Wusterhausen, die Heimatstadt von Thomas, haben zu der Zeit Ausschreitungen, Überfälle und Morde durch Nazis erlebt. Der Polizei war dies bekannt, getan hat sie nichts – im Gegenteil: Tauchten Namen auf, verschwanden sie wieder. Polizist*innen hielten sich bei Angriffen von Rechten auf migrantisierte Personen, Unterkünfte oder Antifaschist*innen bewusst fern, schildert ein Zeitzeuge. Laut eigenen Angaben haben Thomas und andere es in “diesem Klima der Straflosigkeit selbst in die Hand genommen und aus Angst um Leib und Leben Selbstverteidigungsgruppen organisiert”. Zeitzeuge Klaus P (Name geändert) schildert, wie er und andere junge Antifaschist*innen in der Nacht auf den 3. Oktober 1990 in der Kötschauer Mühle in Zerbst, von über 200 Nazis angegriffen wurden. Sie steckten die Mühle mit den jungen Antifaschist*innen in Brand: Diese mussten aus 17 Meter Höhe auf ein kleines Luftkissen springen, um sich zu retten. Die Polizei tat nichts und hatte das auch im Vorwege so angekündigt. Er sagt dazu: “Es ist nicht so, dass wir zur Gewalt kamen, sie kam zu uns – und wir mussten damit umgehen”.

Die Frage, inwiefern die Gewaltanwendung, die Thomas und anderen Antifaschist*innen vorgeworfen wird, nicht auch eine Form der Selbstverteidigung darstellt in einem Staat, der rechter Gewalt gegenüber immer gleichgültiger wird, schwebt still im Raum am Ende der Veranstaltung. Thomas jedenfalls hat viele Unterstützer*innen, eine engagierte Anwältin und auch im Knast eine klare antifaschistische Haltung, die ihn durchhalten lässt.


Geschrieben von: Jessica Dietz