Der Preis für fehlende EU-Seenotrettung
1.912.
1.912 Menschen sind bis zum 9. November dieses Jahres im Mittelmeer ertrunken. Und keiner dieser Menschen hätte sterben müssen, wenn die Festung Europa ihre Tore öffnen würde, anstatt sich immer weiter abzuschotten – dann müsste niemand die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer auf sich nehmen.
Nachdem im Jahr 2015 die Balkanroute dicht gemacht wurde, ist die Route über das Mittelmeer einer der letzten verbleibenden Fluchtwege nach Europa. Seitdem die EU die Seenotrettungsmission Mare Nostrum eingestellt hat, gibt es keine staatlichen Bemühungen mehr, die Menschen, die dort in Seenot geraten, in Sicherheit zu bringen. Daher muss diese Arbeit von privaten Seenotrettungsorganisationen übernommen werden, die sich hauptsächlich über Spenden finanzieren. Das bedeutet: Die Zivilgesellschaft übernimmt physisch und finanziell eine Aufgabe, für die eigentlich die Politik zuständig sein sollte. Diese Organisationen werden zudem massiv an ihrer Arbeit gehindert: Boote mit hunderten geretteten Menschen an Bord müssen tagelang vor den Häfen ausharren, so wie Anfang November die Ocean Viking. Das Schiff erhielt in Italien keine Anlegeerlaubnis und musste somit nach Frankreich weiterfahren, mit 234 Geflüchteten, die zuvor schon Traumatisches erlebt hatten und deren Leiden damit unnötig in die Länge gezogen wurde. Am 20.11. verweigerte auch Frankreich 123 Personen, die Einreise, da diese „keinen Anspruch auf ein Asylverfahren“ hätten. Italiens Vorgehen ist ein Verstoß gegen internationales Recht, Frankreich Verhalten aber mindestens genauso menschenverachtend und gefährlich.
Die einzige Intervention der EU auf dem Mittelmeer findet in Form von der Grenzschutzorganisation Frontex statt, welcher im Jahr 2022 ein Budget von 900 Millionen Euro zur Verfügung steht, um die Außengrenzen der EU zu schützen. Aber schützen wovor? Vor Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, an denen die Europäische Union aktiv eine Mitschuld trägt.
Wie die EU Milizen auf flüchtende Familien und Kinder hetzt
In typisch europäischer Manier macht sich Frontex aber nicht selbst die Hände schmutzig: die gesammelten Koordinaten von Booten in Seenot werden an die sogenannte „libysche Küstenwache“ übergeben. Diese agiert brutal gegen die flüchtenden Menschen, Familien, Kinder vor allem mit lebensgefährlichen Pushbacks auf dem Mittelmeer und ist eigentlich gar keine Küstenwache, sondern eine Gruppe von Milizen. Einmal zurück auf libyschem Boden warten brutale Gefängnisse, in denen Vergewaltigung als Foltermethode angewendet wird. All das geschieht im Wissen der EU, die die libysche Küstenwache als billige Handlanger fungieren lässt. Italiens Außenminister Tajani hatte jüngst vorgeschlagen, Camps für Geflüchtete inmitten der katastrophalen Bedingungen in Libyen zu errichten und nimmt somit ganz offen Menschenrechtsverletzungen in Kauf.
Die Inkompetenz Europas
Es könnte alles so einfach sein. Wenn die EU sich an die so hoch angepriesenen Menschenrechte halten und Schutzsuchende aufnehmen würde. Aber das wäre wohl zu viel verlangt von einem Staatenbündnis, das seit Jahren auf eine „europäische Lösung“ pocht, welche niemals kommen wird, und sich selbst als das Maß aller Dinge sieht. Diese europäische Arroganz ist der Grund für 1.912 Leben, die in diesem Jahr genommen wurden.