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Heruntergekommene Schulen und marode Infrastruktur, wie ein kaputt gespartes Bahnnetz. Was das miteinander zu tun hat? Es geht um Geld – um sehr viel Geld. Warum die Schuldenbremse die Zukunft kommender Generationen gefährdet, die AfD stärkt und eine ernste Gefahr für unsere Demokratie darstellt.
Schuldenbremse – Was ist das überhaupt?
Staatsschulden sind in Deutschland “Teufelszeug”. In anderen Ländern kurbeln sie die Wirtschaft an. Warum?
Mit der Finanzkrise Ende der 2000er-Jahre stieg die Angst in der Bevölkerung vor ausufernden Staatsschulden und finanzpolitischem Versagen. So beschloss die damalige große Koalition aus CDU und SPD, Regelungen für die Staatsverschuldung einzuführen. Bis zum August 2009 galt die “Goldene Regel”: Der Staat durfte nur Schulden für Investitionen aufnehmen, wenn die Investition in Zukunft mindestens genauso große Gewinne abwirft. Mit der endgültigen Bestätigung durch den Bundesrat im August 2009 galt die Schuldenbremse. Öffentliche Investitionen waren ab sofort gedeckelt – ungeachtet des Zwecks und der Art. Die neue Regelung trat vollständig 2016 in Kraft.
Schulden sind seitdem bei einer gewöhnlichen Wirtschaftslage nur begrenzt möglich, nämlich in Höhe von 0,35% des Bruttoinlandsproduktes (BIP), also der Gesamteinnahmen des Staates. Bei der deutschen Wirtschaftsleistung von 2024, die bei ungefähr 4,305 Billionen Euro liegt, wären das lachhafte 15 Milliarden Euro an Neuschulden. Lachhaft, weil diese Kleckerbeträge nicht annähernd an den Bedarf heranreichen, der sich über die Jahre angestaut hat.
Diese Regelungen gelten außerdem nur für den Bund. Die Länder und Kommunen, die die Gelder am meisten bräuchten, dürfen grundsätzlich keine Schulden aufnehmen. 60% der gesamten Investitionen müssen die Länder und Kommunen bewältigen, laut Städte- und Gemeindebund in Nordrhein-Westfalen. Kommunale Infrastruktur ist Aufgabe der Länder und Kommunen. Allein die Summe, die die Kommunen bräuchten, um Straßen instandzusetzen, Krankenhäuser zu versorgen, Schulen zu sanieren und vieles weiteres, lag Mitte 2024 schon bei über 149 Milliarden Euro, laut KfW-Kommunalpanel. Über den Jahreswechsel ist er sogar auf 186 Milliarden Euro angestiegen. Mit schlappen 15 Milliarden Euro lässt sich nicht mal dieser Stau abarbeiten. Von neuen Investitionen in Zukunftsprojekte, wie zum Beispiel dem Ausbau erneuerbarer Energien, ganz zu schweigen.
Ein Schlupfloch gibt es aber: Bei schlagartigen Krisen, die sich “der Kontrolle des Staates” entziehen, kann die Schuldenbremse für begrenzte Zeit ausgesetzt werden. Dann sind mehr Schulden möglich als eigentlich erlaubt, wie z.B. während der Coronapandemie nach der Flutkatastrophe im Ahrtal und wegen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine.
Die Länder brauchen eine Reform fast noch dringender als der Bund. Sie müssen endlich Schulden machen dürfen.
Sparen, sparen, sparen? Schulden sind nicht gleich schlecht
Schon seit Jahren bemängeln Expert*innen die katastrophale finanzielle Lage in den kommunalen Kassen und den Landeshaushalten. Gleichzeitig weigert sich die Politik, große Summen in die Hand zu nehmen, um dringend notwendige Infrastruktur-Reformen auf den Weg zu bringen. Seit Jahren ist bekannt, dass investiert werden muss – in Krankenhäuser, Kitas, Schulen – weil diese Strukturen ansonsten verfallen. Seit Jahren ist bekannt, dass sich diese Kosten nicht in Luft auflösen, sondern mit der Zeit immer größer werden. Und seit Jahren ignorieren konservative und neoliberale Politiker*innen diese einfache Gleichung: Investitionen in die Zukunft kann man sich nicht “zusammensparen”, indem man an anderer Stelle streicht. Mit der Schuldenbremse ist faktisch aber nur das gestattet.
Die Schuldenquote Deutschlands lag 2023 bei ungefähr 63%. Sie lag damit weit unter der anderer EU-Staaten. Frankreich lag 2023 bei fast 110%, Italien und Griechenland sogar bei 134,8% und 163,9%. Alle drei Volkswirtschaften mit höherer Verschuldung sind gewachsen, während Deutschlands Wirtschaft schrumpfte. Schulden sind also nicht automatisch schlecht.
Trotzdem malen Union und FDP seit Jahren bei der leisesten Andeutung, dass man Kredite aufnehmen könnte, das Bild des Staates als “Finanzsumpf”, der Unsummen verschlinge. So hat vor allem Christian Lindner (noch FDP-Chef) in der Vergangenheit keine Möglichkeit ausgelassen, über berechtigte Kritik an der Schuldenbremse herzuziehen. Und auch Friedrich Merz (CDU-Parteivorsitzender und zukünftiger Bundeskanzler) lehnte lange jede Reform der Schuldenbremse ab. Das Motto: Sparen bis der Arzt kommt!
Aus der Opposition lässt sich die finanzpolitische Realität eben leichter verleugnen.
Der Preis der Schuldenbremse ist zu hoch!
Jetzt bricht aber alles gleichzeitig auseinander. Schulen, Brücken, Straßen: Alles zerfällt seit Jahren. Das Geld reicht schlichtweg nicht, um alle Mängel zu beheben. Die Aufgaben, die vor uns stehen, bedürfen ein Vielfaches der mit der Schuldenbremse möglichen Beträge. Allein für die Bewältigung der Infrastrukturinvestitionen von über 500 Milliarden Euro. Das ist mehr als das 30-fache dessen, was mit der Schuldenbremse möglich ist. Nicht zu vergessen, dass durch die Inflation die Kosten jedes Jahr steigen. Rechnet man die Preissteigerungen also mit ein, wären die notwendigen Beträge sogar noch höher.
Schaut man sich den Zeitraum seit Inkrafttreten der Schuldenbremse 2016 an, sieht man auch, dass die Schuldenbremse fast genauso lang ausgesetzt war, wie sie tatsächlich galt. Von 2016 bis 2019 galt sie, nur um dann vier Jahre in Folge ausgesetzt zu werden, weil Krise auf Krise folgt. 2024 war das erste Jahr, in dem die Regelung wieder galt. Auffällig ist, dass gerade die Parteien, die zum jeweiligen Zeitpunkt nicht in Regierungsverantwortung waren, die Aufweichung der Schuldenbremse am härtesten kritisierten. So war es 2020 und 2021 die FDP, die wiederholt mit Kritik an der Aufnahme von Schulden zur Bewältigung der Corona-Krise auffiel. Seit Amtsantritt der Ampel aus SPD, FDP und Grünen war es dann die Union, die Kritik an den Schuldenprogrammen der Ampel übte. Aus der Opposition lässt sich die finanzpolitische Realität eben leichter verleugnen.
Die Heuchelei der Konservativen
Die CDU wusste, dass sie in der Regierung mit den gleichen Finanzproblemen kämpfen würde wie die Ampel, hat aber während des gesamten Bundestagswahlkampfes so getan, als wären die Aufgaben der Zukunft auch mit der Schuldenbremse zu lösen.
Was die CDU im letzten Wahlkampf wollte? Bürgergeld streichen, Ausländer raus, 40-Stunden-Woche abschaffen und arbeiten bis der Arzt kommt – all das, nur um an der Schuldenbremse festzuhalten. Und kurz nach der Bundestagswahl dann die 180°-Wende: Auf einmal will die Union nichts mehr von ihrer Besessenheit von der Schuldenbremse wissen. Sie redet uns ein, dass sie das alles nie so gemeint hat – eine dreiste Lüge. Jüngst schlug die Union ein gigantisches Schuldenpaket von fast 1 Billion Euro vor, das in Aufrüstung und Infrastruktur gesteckt werden soll, als Reaktion auf die Eskalation im Weißen Haus zwischen den ukrainischen und amerikanischen Regierungschefs. Das ist nicht nur “ein weiterer Fall” von politischem Betrug. Es ist Manipulation wie aus dem Bilderbuch. Manipulation wie aus dem Bilderbuch. So versucht die Union, sich in letzter Minute für ihre Verweigerungshaltung der letzten Jahre aus der Verantwortung zu ziehen.
Was das mit der AfD zu tun hat
Dieses politische Missmanagement nützt nur einer Partei: der AfD. Es ist der Frust über marode Schulen und nicht funktionierende Bahnen, die Existenzangst durch immer stärker steigende Kosten und das Gefühl, die Schnauze von all dem voll zu haben – ohne dass die Regierung etwas dagegen tut. Weil sie finanziell geknebelt ist.
Die Einzigen, die den Zustand des Landes ansprechen und ernst zu nehmen scheinen, sind die Politiker*innen der AfD. Sie gaukeln den Menschen vor, dass sich mit ihnen alles ändern wird. Das eigentliche Problem, die fehlende Reformfähigkeit, sprechen aber auch sie nicht an – und das müssen sie auch nicht. Während alle anderen bereits das Problem nicht ernst genug zu nehmen scheinen, bietet die AfD – wenn es nach ihren Wähler*innen geht – wenigstens Lösungen.
“Du findest keine Wohnung?” Schuld ist “der Flüchtling”, der “dir deine Wohnung wegnimmt”, nicht der mangelnde Wohnungsbau und fehlende Mietpreisbremsen. “Du bist genervt, weil die Bahn nicht kommt?” Das liegt daran, dass das gesamte Geld an “die Ausländer” geht, die in die Sozialsysteme einwandern. “Du bist sauer, weil nichts in Deutschland zu funktionieren scheint?” Das liegt an “denen da oben”, die nur sich selbst bereichern.
Die Parteien der Mitte bieten keine ernsthaften Lösungen an, denn die einzige nachhaltige Lösung ist Tabu. Union und FDP behaupten, dass man nur die Steuern für die Reichsten im Land senken müsse. Dann kommt das Wachstum für uns alle schon von selbst. Für die kleinen Leute gibt es nichts. SPD und Grüne versprechen, dass sie alles anders machen werden, nur um dann nach der Wahl doch alles über Bord zu werfen, um regieren zu können. Die Linke hatte jahrelang nichts besseres zu tun als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Rechtsextremen bieten zumindest Sündenböcke. Und dann übernehmen Union, SPD, Grüne und FDP auch noch die Sprache und die Politik der Rechtsextremen, um sie noch mehr in die Mitte der Gesellschaft zu treiben.
Wirtschaftliche und soziale Schieflagen begünstigen rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung. Das ist kein Geheimnis. Wenn die Schuldenbremse nicht die Funktionsfähigkeit des Staates derart zerstören würde, wären die Lügen der Rechtsextremen auch kein solcher Kassenschlager.
Die nächsten Jahre sind die letzte Chance, das Ruder noch herumzureißen. Wenn sich jetzt nicht etwas verändert und endlich das dringend notwendige Geld in die Hand genommen wird, erleben wir zur Bundestagswahl 2029 ein blaues Wunder – im wahrsten Sinne des Wortes. Oder eine Erinnerung daran, dass unsere derzeitige Wirtschaft und der Aufstieg des Faschismus zwei Seiten einer Medaille sind. Denn die Enttäuschung breiter Bevölkerungsteile hat bereits einmal in der Geschichte das Schlimmste in den Deutschen zum Vorschein gebracht.