“Tödlicher Polizeieinsatz?” Tödlicher Rassismus!

Bildquelle: Fibonacci Blue auf Flickr

“Die Polizei, dein Freund und Helfer”. Diese Erzählung ist noch immer weit verbreitet in dem Bevölkerungsteil von Deutschland, der nicht von Diskriminierung betroffen ist. Während also die “Engel in Blau” Menschen beschützen, gibt es eine dunkle Parallelwelt. In dieser tötet ein Polizist einen jungen Mann. 

Von hinten. 

Mit mehreren Schüssen. 

Obwohl keine Bedrohung (des Lebens) für die Beamt*innen vorlag.

Die Polizist*innen waren in der Überzahl, mit Pistolen bewaffnet, während der junge Lorenz A. in der Hand nur Reizgas hielt. Zuvor soll er vor einer Diskothek damit mehrere Menschen leicht verletzt haben. Als die Beamt*innen ihnen stellen wollten, flüchtete er und lief in der Nacht zum Ostersonntag seinem Tod entgegen.

Lorenz A. ist kein Einzelfall

Seit 1990 sind in Deutschland insgesamt 275 Menschen in Gewahrsam, Haft oder durch Polizeigewalt gestorben. 264 davon waren BIPoC, also nicht-weiße Menschen oder Menschen indigener Herkunft. 2024 sind so viele Menschen durch tödliche Polizeigewalt gestorben wie seit 1999 nicht mehr – 22, um genau zu sein. Das Jahr 2025 schreibt gerade einmal fünf Monate, bisher sind es bereits aber 11 Menschen, die durch die Hand von Polizist*innen ihr Leben verloren. Überproportional häufig sind in Fällen von tödlicher Polizeigewalt benachteiligte Gruppen betroffen: Psychisch kranke Menschen, Obdachlose und People of Colour. 

Besonders Schwarze Männer sind durch die Polizei gefährdet. Strafverfolgungsbehörden empfinden diese meist als größere Bedrohung als weiße Männer und verfolgen und bestrafen sie entsprechend härter. Das bestätigt eine Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsen. Gleichzeitig weist die Polizei seit Jahren den Vorwurf von sich, beständig Rassismus innerhalb der eigenen Reihen zu haben. Die Polizeigewerkschaften beharren darauf, dass Rassismus, Rechtsextremismus und Machtmissbrauch nicht existieren würden, während gleichzeitig die Unschuldsvermutung im Sinne der Beamt*innen gilt. Das heißt, in Fällen, wie in dem von Lorenz A., wird gegen den verantwortlichen Beamten zwar wegen Totschlags ermittelt, die Ermittlungen werden jedoch von einer benachbarten Dienststelle geführt. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass nur ein Bruchteil der Verfahren gegen Beamt*innen zu einer Verurteilung führen. 2022 gab es etwa 4400 Ermittlungsverfahren, vor das Amtsgericht kamen aber nur 96. Die Anzahl der Verurteilungen ist nicht bekannt.

Schon wieder ein “Böser Schwarzer Mann”

In den Medien  wurde kurz nach der Tötung von Lorenz A. die Falschmeldung verbreitet, er habe ein Messer bei sich gehabt und sei  damit den Beamt*innen gegenüber bedrohlich aufgetreten. Nachträglich wurde von der Staatsanwaltschaft richtig gestellt, dass sich das Klappmesser lediglich in seiner Hosentasche befunden hat. Zu spät war es trotzdem: das Bild des gefährlichen Schwarzen Mannes hat sich erneut durchgesetzt, und berechtigter Kritik an den Beamt*innen wird von der Polizei und vielen Medien mit einer  Unschuldsvermutung begegnet. 

Warum? Selbst mit Messer hätte sich Lorenz A. mehreren bewaffneten Beamt*innen gegenüber gesehen. Eine Bedrohung lag damit, und unter Berücksichtigung der Studie des Kriminologischen Instituts Niedersachsens, vor allem für Lorenz A. vor. 

Warum haben Lorenz A. die Schüsse von hinten getroffen, einer davon sogar in den Kopf? 

Warum ermittelt eine Dienststelle, die 2021 selbst in den unaufgeklärten Tod eines jungen geflüchteten Mannes, Quosay Sadam Khalaf, verwickelt war?

Warum waren die Bodycams der Beamt*innen nicht eingeschaltet? Auch im Fall des sechzehnjährigen Mouhamed Lamine Dramé, der 2022 durch sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole starb, waren diese ausgeschaltet. Die Polizei begründete dies nachträglich mit der vorliegenden Stresssituation und Vergessen: Praktisch. Und kein Einzelfall.

Die Gewalt hat System – Aufarbeitung jetzt!

Ein Geheimpapier der Polizei NRW von 2017, welches FragDenStaat zugänglich machte, zeigt, dass die Polizei nichts tut, um den Rassismus und die Gewaltbereitschaft in den eigenen Reihen abzubauen. Im Gegenteil: Darin heißt es, die Polizei müsse “gewaltfähiger” werden. Statt “Kommunikation” fordert sie ein “Einschreiten, so konsequent wie möglich”. Das bestätigt auch Dirk Heidemann, der bis 2022 den Fachbereich “Führung in der Polizei” der Deutschen Hochschule der Polizei leitete. 

Es braucht eine Debatte und Forderung nach Aufarbeitung, die nicht ausschließlich Initiativen vorantreiben, deren Mitglieder selbst von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind. Es braucht die Erkenntnis, dass der “Freund und Helfer” des Einen der tödliche Gegenspieler des Anderen ist. Wer dazu schweigt, macht sich mitschuldig. Insbesondere Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, sind dazu aufgefordert, sich an der Debatte um Rassismus, Polizeigewalt und nicht vorhandene Aufarbeitung einzubringen. 

Lorenz starb, weil er ein Schwarzer junger Mann war und er in Deutschland in den Augen vieler eine größere Gefahr darstellte als schwer bewaffnete Polizist*innen. Was Lorenz aber auch war: Ein Sohn, ein Freund, ein junger Mann mit Hoffnungen und Träumen. 

Anmerkung der Autorin: Schwarz wird groß- und weiß wird so geschrieben, weil sie politische (Selbst)beschreibungen darstellen und nicht auf die Hautfarbe bezogen sind.

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Geschrieben von: Jessica Dietz