Wie sehr muss man Frauen hassen? Vandalismus an Gedenkort für Frauenmorde

Vandalismus aus Hass? Unbekannte zerstören Gedenkort für Frauenmorde. Das Bild zeigt einen Baum, an dem u.a. Profile von Frauen hängen

Gedenkort in Tübingen

Frauenhass: Kein Mythos, sondern bittere Realität

In der ersten Oktoberwoche verwüsteten Unbekannte den Gedenkort für Femizide, geschlechterspezifische Morde an Frauen, weil sie Frauen sind, in Tübingen. Dieser wurde erst im August 2024 von Gemeinsam Kämpfen, einer feministischen Organisation für Selbstbestimmung, wieder belebt.

Das große Holzschild, das den Ort ausschildert, liegt auf dem Boden. Infomaterialien ebenso wie die Biographien der Opfer sind abgerissen und liegen wie Dreck am Boden. Der Gedenkort, der an geschlechterspezifische Gewalt erinnert, ist eben dieser zum Opfer gefallen. Die Aktivistinnen sind fassungslos und wütend. Erstmals wurde der Gedenkort 2020 auf Eigeninitiative von Gemeinsam Kämpfen errichtet, um zumindest einen inoffiziellen Platz des Gedenkens und Informierens zu bieten. Seit Sommer dieses Jahres ist auch offiziell eine „Rote Bank“ (La Panchina Rossa) vor der Stadtbücherei installiert. Diese ist Teil einer Kampagne, die ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und häusliche Gewalt setzen soll.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen wohnt eine verstörende Normalität inne.

Dass Orte wie diese noch immer dringend benötigt werden, zeigt der Akt des Vandalismus am Gedenkort mehr als deutlich. Gewalt an Frauen ist alltäglich, das zeigt auch eine Studie des Ministeriums für Sport und Inneres von 2021: 42 % der befragten Frauen gaben an, bereits einen Vergewaltigungsversuch erlebt zu haben, und über 50 % der Frauen Opfer von Gewalt in vorherigen Beziehungen gewesen zu sein. Diese Gewalt geschieht vor allem im sozialen Umfeld. Das bedeutet, Täter sind in den meisten Fällen Verwandte, Partner oder Ehemänner der Frauen. Die Gewalt zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und lässt sich auch nicht mit rassistischen Erzählungen von migrantischen Tätern erklären: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig und stellt keinen Einzelfall dar. Bereits für dieses Jahr wurden 77 Femizide verzeichnet. Auch in der Region Tübingen wurden in den vergangenen 12 Monaten zwei Frauen durch ihre Ex-Partner getötet.

„Ni una menos“: Nicht eine weniger!

Dieser Slogan war auch am Gedenkort in Tübingen zu lesen. Er ist Teil einer internationalen feministischen Bewegung, die in Argentinien 2015 als Reaktion auf eine Reihe aufsehenerregender Frauenmorde entstand. In Deutschland versucht jeden Tag ein Mann seine Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es ihm. Die Kriminalstatistiken der letzten Jahre zeigen, dass die Vorfälle zunehmen. 2023 um 6,5 %.  

Wie wird politisch und juristisch darauf reagiert?

Bislang gibt es keine bundesweit einheitliche Vorgabe für die Finanzierung von Frauenhäusern, sozialen Einrichtungen, die Frauen und Kindern nach erlebter Gewalt Schutz, Hilfe und Beratung bieten, und Beratungsstellen. Hilfe basiert lediglich auf freiwilligen individuellen Leistungen von Ländern und Kommunen. Das Ergebnis: Frauen müssen teils Monate auf einen Platz im Frauenhaus warten. Inzwischen liegt der Entwurf eines Gewaltschutzgesetzes von der Regierung vor. Dieses beinhaltet einheitliche Vorgaben für Beratungsstellen und die Finanzierung von Frauenhäusern. Die Umsetzung steht allerdings noch aus. Unabhängige Initiativen und Organisationen fordern die Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode, also bevor es einen Regierungswechsel gibt. 

Auf rechtlicher Ebene gibt es bisher keinen Tatbestand der geschlechterbezogenen Gewalt oder des Mordes an Frauen. Auch das Tatmerkmal der niederen Beweggründe, welches die Voraussetzung für eine Mordanklage ist, wird in vielen Fällen als nicht erfüllt betrachtet. Oftmals wird stattdessen nur Totschlag vorgeworfen. Eine Handlung, die aus einer starken Emotion, dem Affekt, heraus erfolgt. Dieser Affekt entschuldigt die Tat dann gewissermaßen und bedingt einen geringere Strafe. Auch häusliche Gewalt wird oft als privates, nicht öffentliches Problem verstanden, obwohl bereits die offiziell erfasste Zahl der Vorfälle auf ein gesellschaftliches Problem hindeutet.

Feministische Organisationen und auch Jurist*innen kritisieren, dass damit die Gewalt gegen Frauen wieder in den privaten Raum gerückt und nicht als gesamtgesellschaftliches Problem verstanden wird. In Tübingen haben die Aktivistinnen von Gemeinsam Kämpfen inzwischen beschlossen, der Gewalt keinen Raum zu geben: Sie bauen den Gedenkort wieder auf. Wieder und wieder, wenn es nötig ist. 

*In diesem Artikel wird von „Frauen” geschrieben. Damit eingeschlossen sind alle Personen, die sich als Frau identifizieren, unabhängig vom biologischen oder zugeschriebenen Geschlecht.


Geschrieben von: Jessica Dietz

Jessica Dietz