Am Plateia Exarcheion in Athen soll eine Metro-Station gebaut werden, die es aber gar nicht braucht. Bei diesem Projekt geht es nicht um Verkehr, sondern um politische Kontrolle.
Sonnenstrahlen fallen mir ins Gesicht, während ich an meinem Freddo Espresso nippe und in den wolkenlosen Himmel blicke. Um mich herum erstreckt sich ein weiter Platz, umgeben von einem zwei Meter hohen Metallzaun und mehreren Gruppen von Polizisten – oder sind es Soldaten? Ihre Ausrüstung lässt keinen klaren Schluss zu: Beinschützer, Helme, schwere Westen, Gasmasken, Tränengasflaschen, Schlagstöcke und Schilder lässig neben ihnen aufgestellt. Alles ist bereit für den Einsatz.
Exarcheia, ein zentraler Stadtteil der griechischen Hauptstadt, wirkt an diesem Morgen im Oktober 2023 ruhig und sonnig. Nur die Bäume hinter dem Metallzaun auf dem Platz werfen noch Schatten auf das Pflaster – ein Schatten, der den Anwohner*innen des Plateia Exarcheion bald genommen wird. Der hohe Zaun schützt eine Baustelle, wo in Kürze alle Bäume weichen. Hier wird eine U-Bahn-Station entstehen, die das Viertel mit den nordöstlichen Vororten verbinden soll.
Reaktionen der Nachbarschaft
“No Metro at Exarcheia Square”, prangt in krakeligen Buchstaben auf dem Metallzaun. Der Slogan ist nicht nur Protest, sondern Symbol einer Bewegung. “Oxi Metro at Exarcheia Square” nennt sich die Gruppe, die sich gegen den Bau positioniert. Ihre Mitglieder befürchten eine noch größere Veränderung als nur die Umgestaltung des Platzes.
“Gentrifizierung, Verdrängung und wachsende Gewalt durch die Polizeipräsenz”, so teilt mir eine Mitgründerin der Bewegung ihre Befürchtungen mit. Die Pläne für die neue Linie existieren zwar schon seit 2005, doch erst am 19. Februar 2021 gab der damalige griechische Verkehrsminister Kostas A. Karamanlos den Bau offiziell bekannt.
Warum ausgerechnet der historische Exarcheia Square?
Die Wahl des Standorts ist auf den ersten Blick unlogisch. Die nächstgelegene U-Bahn-Station ist nur zehn Minuten Fußweg entfernt, und mehrere Buslinien durchziehen das Viertel. Was als Verbesserung der Infrastruktur angepriesen wird, wirkt auf viele Anwohner*innen wie ein symbolischer Akt der Machtausübung.
Exarcheia spielt nämlich eine besondere politische Rolle. Nach der Militärdiktatur 1974 verabschiedete Griechenland das sogenannte Universitäts-Asyl: Ein Gesetz, das Polizei und Militär verbietet, Universitätsgelände zu betreten, um akademische Freiheit zu gewährleisten. In Exarcheia hat sich diese Schutzzone von der Polytechnic-Universität auf das umliegende Viertel ausgedehnt – ein Freiraum, der für linke Bewegungen und anarchistische Gruppen zum Symbol wurde.
Doch die konservative Regierung versucht seit 2022, das Asylrecht Stück für Stück abzuschaffen. Die strategische Platzierung der Metro-Station könnte ein weiterer Schritt sein, um Kontrolle über das Viertel zu erlangen. Ein Dozent einer anderen Athener Universität bestätigt meinen Verdacht: “Es geht nicht nur um wirtschaftliche Interessen.” Die Regierung möchte Exarcheia politisch und symbolisch umgestalten.
Gentrifizierung und Verdrängung
Die Sorgen der Anwohner*innen gehen jedoch über die Metro hinaus. Exarcheia droht durch Gentrifizierung, also durch die Verteuerung des Stadtteils und der anschließenden Verdrängung seiner Bewohner*innen, seinen alternativen und anarchistischen Charakter zu verlieren. Die Metro-Station könnte diesen Prozess beschleunigen, vermutet ein Barbesitzer am Platz: “Der Bau zeigt, dass Exarcheia den Klassenwechsel vor sich hat.”
Dieses Verdrängungsphänomen lässt sich in vielen Großstädten weltweit beobachten: Barcelona, Paris, Berlin. In Griechenland aber hat dieser Prozess eine besondere Schärfe, denn die wirtschaftliche Krise von 2009 hat tiefe Narben in der Bevölkerung hinterlassen. Während der Krise mussten viele Familien ihre Wohnungen verkaufen – heute gehören sie Investor*innen, die sie in Ferienwohnungen für Tourist*innen umgewandelt haben.
Ich öffne eine App und suche nach Unterkünften in Exarcheia. Sofort springen mir unzählige Angebote entgegen. “New Central Penthouse mit atemberaubender Sicht”, dazu Bilder von luxuriös eingerichteten Zimmern. Doch was für Tourist*innen als unverzichtbares Erlebnis angeworben wird, bedeutet für die Gemeinschaft in Exarcheia den Verlust ihrer Seele.
Erhöhte Polizeipräsenz: Sicherheit oder Kontrolle?
Ich schließe die App und lasse meinen Blick über den Zaun schweifen. Hinter dem Metall liegt der Platz, einst ein pulsierender Treffpunkt der Nachbarschaft, heute fast verlassen. Uniformen zeichnen das Bild. Seit 2022 hat die Polizei den Platz nicht mehr verlassen.
Besonders auffällig ist die Wachablösung. Alle acht Stunden marschieren Beamte in Achterketten durch die Straßen. Die neuen Wachposten treten an, bevor die alten abziehen. Es gibt keine Lücken in der Überwachung. Auch nachts bleibt der Platz unter ständiger Beobachtung.
Die Präsenz wirkt erdrückend. Geht es wirklich um Sicherheit – oder spiegelt sie die Umstrittenheit des Bauprojekts wider?
Ein Jahr später.
Ich öffne Instagram und tippe “oxi_metro_plateia-exarcheion” in die Suchleiste. Der Platz ist nun kahl und leer, alle Bäume sind gefällt. Der Zaun ist noch immer allgegenwärtig, wurde sogar vergrößert. Doch ein aktueller Post der Organisation berichtet von einem Gerichtsurteil: Der Bau sei nicht rechtmäßig, da der Zaun den Zugang für Rettungskräfte blockiere.
Könnte dieses Urteil das Projekt stoppen? Vielleicht ist es die letzte Chance, den Charakter des Platzes zu bewahren. Oder wird die Autorität siegen – und Exarcheia unwiderruflich verändert?