
Bild von Allan Bailey (@trickroot)
In Tunesien hatte sich die Global Sumud Flotilla auf die Fahrt nach Gaza vorbereitet. Dann wurde sie von Israel gewaltsam gestoppt. Revolte hat die Teilnehmenden in Tunis getroffen.
“In einer friedlichen Mission zur Verteilung von Hilfsgütern aufzubrechen, ist eine Geste der Menschlichkeit”, erklärt UN-Sonderbeauftragte der besetzten palästinensischen Gebiete Francesca Albanese auf der Pressekonferenz der Global Sumud Flotilla in der tunesischen Hauptstadt Tunis. In der Ecke hängt ein Banner, das das Ziel der Flotilla nennt: “Wir brechen die Gaza-Blockade.”
Menschen aus 44 Ländern mit rund 50 Schiffen wollten humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen bringen, der seit 18 Jahren der israelischen Blockade unterliegt. Trotz friedlicher Mission beschuldigte Israel die Teilnehmenden der Flotilla des Terrorismus und attackierte die Schiffe im Hafen von Tunis und auf hoher See mit Drohnen, obwohl der Angriff auf Zivilist*innen in internationalen Gewässern völkerrechtswidrig ist. Am 2. Oktober inhaftierte Israel die Teilnehmenden im Terrorismusgefängnis Ktzi’ot, darunter auch 14 Deutsche. Mittlerweile sind zwar alle wieder auf freiem Fuß, aber einige berichten von Folter und Erniedrigungen.
Bei der Pressekonferenz am 4. September in Tunis waren die Anwesenden noch optimistisch, dass das Vorhaben gelingen würde. Unter ihnen befanden sich neben Presse und Unterstützer*innen der Mission auch Teile der Crew der Global Sumud Flotilla, die der in Barcelona gestarteten Flotilla in Tunis zusteigen wollten. So auch der Enkel von Nelson Mandela, Nkosi Zwelivelile Mandela. “Mein Großvater fand einst internationale Solidarität für ein Ende der Apartheit in Südafrika. Jetzt ist es an der Zeit, dies zurückzugeben”, sagte Mandela über seine Motivation zur Teilnahme.
Derweil präsentiert Hüseyin Dişli für die Worldwide Lawyers Association (WOLAS) ein rechtliches Gutachten, das die Rechtmäßigkeit der Global Sumud Flotilla hervorhebt. Während die meisten Anwesenden der Pressekonferenz lässig gekleidet sind und durch Symbole wie Kufyas oder Wassermelonenassesoires ihre Palästinasolidarität ausdrücken, steht Dişli im Anzug am Rednerpult. Seine Präsentation des Rechtsgutachtens eröffnet er mit den Worten: “Wir stehen an der Seite derer, die für internationales Recht segeln.” Grundlegend für die Argumentation der WOLAS ist der aktuelle Genozid im Gazastreifen, den die UN-Kommission im September 2025 bestätigt hat. Zum Ergebnis der Kommission führten unter anderem die Tötungen von Zivilist*innen und vorsätzliche Herbeiführung von Lebensbedingungen, die auf die vollständige oder teilweise Zerstörung der palästinensischen Bevölkerung abzielen. Dazu zählen etwa die Blockade humanitärer Hilfe und die Zerstörung von Krankenhäusern, Schulen und religiösen Einrichtungen. Außerdem geht aus dem Beschluss des UN-Sicherheitsrats zum Gaza-Krieg von 2023 hervor, dass die Staaten die Lieferung humanitärer Hilfe ermöglichen und unterstützen müssen.
“Das ist eine Aktion, die die Bürger in die Hand nehmen, aber eigentlich wäre es Aufgabe der Staaten”, meint die französisch-palästinensische Europaabgeordnete Rima Hassan. Damit meint sie, dass sich die Staaten in der UN-Völkermordkonvention dazu verpflichtet haben, aktiv zu werden, wenn ein Völkermord bevorsteht, aber dies im aktuellen Gaza-Krieg nicht tun. Auch dieser Punkt findet sich im Rechtsgutachten von WOLAS.
Es ist der 8. September und die ersten Flotilla-Schiffe aus Barcelona laufen in den Hafen von Tunis ein, um sich in Tunis mit weiteren Teilnehmenden zu vereinen. Rima Hassan hat sich unter das Begrüßungskomitee bestehend aus tunesischen Organisator*innen, dem Roten Halbmond und Journalist*innen gemischt. “Wir müssen die illegale Blockade des Gazastreifens brechen”, meint Hassan entschlossen, während die ersten Teilnehmer*innen von Bord gehen und blitzschnell von Journalist*innen umringt werden.
Ob die 18-jährige Blockade des Gazastreifens rechtens ist, war lange Zeit umstritten. Grund für die Blockade war die Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen 2007 nach deren Wahlgewinn. Israel rechtfertigt die Blockade mit seinem Recht auf Selbstverteidigung gegen die Hamas, die zahlreiche Selbstmordanschläge in Israel verübt hatte. Diese waren der Grund, warum die EU die Hamas 2003 als Terrororganisation einstufte. Die Hamas selbst will ihre Anschläge mit der Besatzung der palästinensischen Gebiete durch Israel und mit der israelischen Staatsgründung, die zur Vertreibung von ca. 700.000 Palästinenser*innen geführt hatte, begründen.
Konkret bedeutet die Blockade ein Bündel an Verwaltungs- und Militärmaßnahmen: Israel erlaubte nur noch die Einfuhr von Grundnahrungsmittel, Exporte und Personenverkehr wurden nahezu komplett unterbunden, was die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung auf den Gazastreifen selbst beschränkt und die Wirtschaft massiv schädigte. Im Juli 2024 erklärte der Internationale Gerichtshof die Gaza-Blockade für illegal. Grund dafür ist, dass die Blockade eine kollektive Bestrafung, also eine Bestrafung aller Bewohner*innen des Gazastreifens statt der gezielten Bestrafung der Hamas, darstellt. Auch wenn Bewohner*innen nichts mit der Hamas zu tun haben, müssen sie die Konsequenzen der Attacken der Hamas tragen. Solche kollektiven Strafen sind laut des Artikels 33 der UN-Völkermordskonvention illegal.
Unter den Ankommenden im Hafen von Tunis ist auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Ihr Statement wird von den tausenden Menschen, die zur Begrüßung der Flotilla an den Hafen gekommen sind, sehnsüchtig erwartet. Das Gerangel aus Journalist*innen und Fans ist ihr sichtlich unangenehm. Als sie das Mikro ergreift, ist Thunberg jedoch selbstsicher und verleiht ihrer Wut über die aktuelle Lage Ausdruck. “Wo sind die internationalen Medien, wenn es um die Hölle geht, die sich in diesem Genozid abspielt”, schreit Thunberg ins Mikro. Statt über die Flotilla zu berichten, sollten die Medien endlich ausreichend über das “unfassbare Leid im Gazastreifen” sprechen.
Was Greta Thunberg mit dem “unfassbaren Leid” meint, lässt sich in Zahlen nur erahnen: Allein bis Januar 2025 kamen 75.200 Menschen im aktuellen Gazakrieg ums Leben. Dabei sind die Zahlen durch die Hungersnot, die 2025 besonders akut wurde, und die Bodenoffensive, die aktuell viele Todesopfer fordert, in Gaza-Stadt nicht eingerechnet.
“Für uns stehen die leidenden Menschen in Gaza im Vordergrund, wir versuchen einen Weg zu ihnen zu finden und ein Zeichen zu setzen”, sagt der dreifache Familienvater Cherif Zaki aus München bei einem der Koordinierungstreffen der Flotilla-Teilnehmenden in Tunis. Er war bereits zum Global March to Gaza im Juni nach Kairo gereist. Dies sollte ein Demozug von Menschen aus der ganzen Welt werden, die vom ägyptischen Arish nach Rafah im Gazastreifen laufen und humanitäre Hilfe überliefern wollten. Ägypten verhinderte diese Aktion teils gewaltsam.
Die Koordinationstreffen der Flotilla dienten dazu, das Leben auf den Schiffen zu organisieren und auf den Ernstfall, die Konfrontation mit den israelischen Behörden, vorzubereiten. Gewaltfreies Handeln war ein wichtiger Punkt bei der Vorbereitung, wie Cherif Zaki erzählte.
Zur Abfahrt der Schiffe aus Tunis kamen tausende Menschen an den Strand vor dem Hafen. Manche von ihnen standen zur Hüfte im Meer und schwenkten Palästinafahnen, während lauer Septemberregen auf das Wasser prasselte.
Seitdem konnte die Global Sumud Flotilla per Live-Ticker verfolgt werden oder über die Social-Media-Kanäle der Teilnehmenden, die auch dokumentieren, wie die israelische Armee am 2. Oktober die Schiffe stürmte. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Ben Saul, sagte in Berufung auf internationale Rechtsprechung, dass Israels Reaktion auf die Flotilla illegal sei. “Außerdem unterstreicht die Flotilla die Tatsache, dass Israels Status als Besatzungsmacht rechtswidrig ist”, sagt Saul.