“Ein Finanzskandal mit Ansage” – Die Affäre um den korrupten Investor und den Brandenburger Landtag

Das Brandenburger Innenministerium hat in der letzten Wahlperiode die Grenzen geltenden Rechts ausgereizt, um heimlich den Bau eines Abschiebezentrums vorzubereiten und einen korrupten Investor zu bereichern. Im Gespräch mit REVOLTE erklärt Landtagsabgeordnete Andrea Johlige die Hintergründe, die hier zusammengefasst sind. Das ganze Interview folgt im REVOLTE-Podcast

Aus Alt mach Neue Abschiebehaftanstalt

2021 kündigte der Brandenburger Innenminister (SPD) den Ausbau des “Behördenzentrums” für Abschiebungen und das Flughafenasylverfahren nahe des Flughafens BER in Schönefeld an. Jahre zuvor war die Einrichtung wegen Baumängel geschlossen worden.

Die Links-Fraktion wurde jedoch misstrauisch, als er mit den vermeintlichen Renovierungen gleich 30 neue Stellen schaffen wollte. Unter der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige stellte die Fraktion in der Gemeinde Schönefeld Nachforschungen an und fand heraus: Das Behördenzentrum soll nicht nur ausgebaut, sondern auch deutlich vergrößert werden. Für das Abschiebedrehkreuz waren anscheinend 30.000 Quadratmeter eingeplant, das entspricht der Fläche von mehr als 4 Fußballfeldern. 

Auf diesem Gelände könnten so die Einrichtungen für das Flughafenasylverfahren und das Ausreisegewahrsam, das Bundesamt für Flucht und Migration (BAMF), ein Abschiebe-Gericht und die Bundespolizei zusammengeführt werden. Johlige fügt hinzu, dass dort auch ein Abschiebe-Terminal zur gleichzeitigen Abwicklung von bis zu zwei Abschiebeflügen geplant ist. 

Über einen Tippgeber erfuhr sie weiterhin: Jürgen Harder sollte Investor und Bauherr des Projekts werden. Über den mit Korruption vorbestraften Geschäftsmann hat REVOLTE bereits berichtet. 

Heimliche Planungen ohne Koalitionspartner

Das Bauvorhaben war auch gar keine neue Idee, wie sich herausstellte. Schon in der letzten Regierung im Jahr 2018 hatten der damalige Innenminister Karl-Heinz Schröter und seine Staatssekretärin Katrin Lange (beide SPD) den Bau einer Abschiebeeinrichtung geplant. Auch mit Jürgen Harder.  

Mit ihrem Bauvorhaben standen der Innenminister und Staatssekretärin Lange jedoch vor einem Problem. Ihr Koalitionspartner DIE LINKE hätte einer Wiedereröffnung der Einrichtung niemals zugestimmt. Aber: Dieser stellte den Finanzminister. Für das Projekt hätte es vorerst also kein Geld aus dem Landeshaushalt gegeben. Johlige vermutet, dass daher die Entscheidung kam, mit einem privaten Investor zu arbeiten. Denn auf diese Weise musste das Finanzministerium in Planungen vorerst nicht eingeschlossen werden. Als dies jedoch rechtlich erforderlich wurde, stellten sie ihre Planungen ein. 

In der neuen Regierung, die sich 2019 aus SPD, CDU und Grüne zusammensetzte, fiel das Innenministerium in die Hand der CDU und das Finanzministerium übernahm Katrin Lange. 

Als die Bundesregierung dann den Bau von Ausreisezentren forderte, waren die Umstände günstig: das Bauprojekt wurde wiederbelebt als “Bundesausreisezentrum”. 

Die Lügen des Landtags

“Ihm gehörten zu keiner Zeit alle notwendigen Grundstücke”

Eigentlich werden Bauaufträge in dieser Größe von Bund und Ländern öffentlich ausgeschrieben. Das geschah hier nicht. Als Begründung führt der derzeitige Innenminister Michael Stübgen (CDU) an, dass Jürgen Harder die notwendigen Grundstücke schon besessen haben soll. “Das ist eine Lüge”, sagt Johlige. Recherchen von FragDenStaat und RBB belegen ebenfalls, dass das nicht stimmt. 

Auch jetzt soll Harder nur eines der Grundstücke gehören. Er habe sich für weitere Grundstücke Optionen gesichert. Ein anderer Teil ist noch in der Hand der Gemeinde Schönefeld. 

Dass die Frage des Besitzes aber nichts weiter als ein vorgeschobener Vorwand ist, wird klar, als kurzzeitig im Raum stand, auf einer ganz anderen Fläche zu bauen. Der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) Brandenburgs versicherte nämlich, dass der Investor Harder auch da bauen würde, erzählt Johlige. 

Wieder wird das Recht umgangen

“Das hieße, dass das Akteneinsehungsrecht ausgehöhlt wird”

Zur Planung des Abschiebezentrums erstellte eine Anwaltskanzlei 2018 ein Gutachten über die Vergabe des Auftrags an Jürgen Harder. Die Links-Fraktion vermutet, dass darin ausgelegt wurde, wie genau man den damaligen Finanzminister am besten in Bauplanungen ausschließen könnte. Das Gutachten wäre damit also ein entscheidender Beweis.  

Weil es sich dabei eigentlich um ein abgeschlossenes Verfahren handelt, sollte dieses Gutachten dem Akteneinsichtsrecht von Abgeordneten unterstehen. Heißt: Johlige und ihre Fraktion sollten es einsehen dürfen. 

Um dieses Akteneinsichtsrecht anscheinend aber zu umgehen, zog die Landesregierung das Gutachten zu dem “neuen” Bauprojekt hinzu. So gilt es nicht länger als abgeschlossen. Die Folge: Die Linke-Fraktion darf es nicht einsehen, der Beweis fehlt. Damit schafft die Landesregierung einen gefährlichen Präzedenzfall, der die Unterwanderung des Akteneinsichtsrechts normalisieren könnte. “Das hieße, dass das Akteneinsehungsrecht der Abgeordneten insgesamt ausgehöhlt wird”, so Johlige. Also reichte sie Verfassungsklage ein, um dagegen vorzugehen. Wann genau die Entscheidung fällt, lässt sich noch nicht sagen.  

Jürgen Harders “Traum-Rendite”

Der Brandenburger Landtag hat im Haushalt für dieses und das kommende Jahr 315 Millionen Euro für die Miete und Pacht der Anlage von Jürgen Harder für die nächsten zwei Jahrzehnte bereitgelegt, für die nächsten 30 Jahre sind mit 470 Millionen Euro zu rechnen. Interne Unterlagen deuten darauf hin, dass der Bund jährlich etwa sieben Millionen Euro an zusätzlichen Mietzahlungen fließen lassen will. Berücksichtigt man Harders erwartete Kosten von ungefähr 156 Mio Euro, entsteht für den Privatmann eine “Traum-Rendite”. All das mit dem Bau staatlicher Infrastruktur, all das bezahlt mit Steuergeldern. 
Würde der Bund die Einrichtung selbst bauen, wären die voraussichtlichen Kosten deutlich niedriger. Auch in einer öffentlich-privaten Partnerschaft wäre die Anlage nach Ende der Mietperiode in den Besitz des Bundes geflossen. Nach derzeitigen Planungen aber soll sie für immer Harder gehören. Selbst wenn der Bau ausfällt, sollen sowohl Land und Bund für entstandene Kosten haften. “Das ist ein Finanzskandal mit Ansage”, urteilt Johlige.


Geschrieben von: Amy Amoakuh

Amy Amoakuh

Amy beschäftigt sich neben Sprachwissenschaft auch mit Sozialpolitik und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Fragen, Anmerkungen oder Kommentare bitte an @a_amoakuh auf Twitter.