Das Thema Migration wird in Zukunft vor allem im Zusammenhang mit der Klimakrise noch zu einem weitaus größeren Thema werden, als ohnehin schon und “Green Border” fordert mit seinen harten, direkten, äußerst eindringlichen Bildern auf, über die unvermeidliche, in großen Schritten auf uns zukommende Zukunft nachzudenken, nach Lösungen zu suchen, Druck zu machen. Denn eine immer menschenverachtender, brutaler werdende Migrationspolitik (siehe die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die Flüchtende praktisch völlig entrechtet), darf einfach nicht die Lösung sein. Ansonsten drohen uns bald im großen Maßstab die dystopischen Verhältnisse, von denen Agnieszka Hollands Film mit seinen erschütternden, nahezu außerweltlichen Szenen von der grünen Grenze, dem Białowieża-Urwald in Ostpolen, schon mal einen durch Mark und Bein gehenden Vorgeschmack gibt.
Auf kleinerem Level gedacht hämmert Hollands Film seinen Zuschauern auch einfach gnadenlos in die Augäpfel, von wem da eigentlich die Rede ist, in den oft sehr abstrakt gehaltenen Nachrichtensendungen oder wenn Politiker mal wieder großspurig, fast sabbernd allerhand Drangsalierungs- und Vetreibungsfantasien debattieren.
Die grüne Hölle
Angelockt von den Versprechungen des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko bucht eine syrische Familie, die aus Bashier, Amina, drei Kindern und dem Großvater besteht, wie viele andere Flüchtende im Oktober 2021, einen Flug nach Minsk, um von dort aus über die grüne Grenze nach Polen zu kommen. Von dort will man weiter zu Verwandten nach Schweden. Unter den Mitreisenden befindet sich zudem Leïla, eine Englischlehrerin aus Afghanistan.
Doch in Minsk merken die Angekommenen, dass sie betrogen wurden. Ähnlich wie tausende andere stecken die Familie und Leïla im Niemandsland zwischen Polen und Belarus fest und werden von den Grenzschützern beider Länder innerhalb eines streng abgeschirmten Sperrgebiets, in dem so was wie Menschlichkeit nicht existiert, hin- und her getrieben. Asyl oder überhaupt irgendeine Form von Hilfe wird konsequent verweigert.
In der Nähe des Białowieża-Gebiets lebt auch der junge Grenzschützer Janek, der zunehmend in Gewissenskonflikte kommt, als er den Menschen, die laut seinem Vorgesetzten “Waffen im Dienst der hybriden Kriegsführung Putins und Lukaschenkos” sind, gegenübersteht. Des Weiteren wird von Julia erzählt, einer jungen Psychologin, die sich in der Abgeschiedenheit des Grenzgebiets nach einem familiären Schicksalsschlag eigentlich wieder sammeln wollte. Unerwartet wird sie aber Teil einer Gruppe Aktivist*innen wird, die trotz staatlichen Verbots die in den Wäldern festsitzenden Menschen mit dem Nötigsten versorgen will…
Ein stinkwütender Film
Es gab bisher einiges an Lob für “Green Border”, aber ebenso viel Kritik. Die Vorwürfe, die der Regisseurin gemacht wurden, dass der Film das Thema auf zu unkünstlerische Weise verarbeitet, zu wenig intellektualisiert, zu sehr auf Drastik setzt (sogar von Misery Porn war bereits die Rede) sprechen Bände. Natürlich ist das kein subtiler Film, es ist ein stinkwütender Film, der die absolut hässlichste Seite der Menschheit zeigt. Es gibt Szenen, die man eigentlich gar nicht so recht glauben möchte, nicht so recht glauben will, aber doch unserer Realität entstammen, sich quasi vor unserer Haustüre abspielen. Vor allem aber Szenen, die es einem unmöglich machen, sich hinter einer künstlerischen oder intellektuellen Trennwand zu verkriechen.
Doch Agnieszka Holland pinselt nicht nur phasenweise in Finsternis nahezu ertrinkende Schwarzweiß-Horrorszenarien auf die Leinwand, sondern gibt sich ebenso – milde – positiv und so darf der Grenzschützer Janek dann eine Wandlung durchmachen, wobei jeder Anflug von Heroisierung vermieden wird – im Gegenteil: Der Film vermeidet weitgehend echte Charakterisierungen, die Figuren stehen vielmehr für einzelne Gruppen, die sich in einem menschlichen Chaos wiederfinden. Die politischen Entscheidungsträgern, die es herbeigeführt haben, bleiben von den Auswirkungen natürlich völlig verschont. Dass “Green Border” dennoch eine emotionale Wucht entfaltet, liegt an der perfekt umgesetzten semi-dokumentarischen Gestaltung, die den Ereignissen eine intensive Authentizität verleiht.
Nicht in den Kopf, ins Herz
Es ist kein Film, der auf den Kopf zielt, es ist ein Film, der mitten ins Herz zielt und hoffentlich so oft wie möglich trifft.