
Bild von Ruben Neugebauer auf Flickr
Mit dem “Radikalenerlass” wurde bereits in den 70er Jahren versucht, Aktivist*innen den Geschmack am linken Engagement zu verderben: Nun versucht Bayern erneut einer angehenden Lehrerin ihren Einsatz für Klimagerechtigkeit und Antifaschismus mit einem Referendariat-Verbot zu bestrafen.
Lisa Poettinger ist 28 Jahre alt, hat erfolgreich Lehramt studiert und ist Aktivistin. In den letzten Jahren hat sie sich unter anderem sowohl organisatorisch an den Protesten gegen rechts als auch an den Protesten gegen den Abriss Lützeraths und die IAA (Internationale Automobil-Ausstellung) in München beteiligt. Das bayerische Kultusministerium ist mit diesem Engagement nicht einverstanden und möchte der angehenden Lehrerin nun das Referendariat verweigern. Die Begründung: Ihr Aktivismus sei mit der Verfassung unvereinbar.
Staatskanzleichef Florian Herrmann betont, dass es nicht um den Aktivismus an sich ginge, sondern ihr “Engagement in linksextremistischen Vereinigungen”. Hinzu kommen laufende Verfahren, in denen es um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen geht – ein Vorwurf, der locker sitzt bei der Polizei, vor allem bei Aktivist*innen aus dem linken Spektrum. Lisa Poettinger wiederrum stellt klar, sie sei, trotz ihrer marxistischen und kapitalismuskritischen Haltung, eine überzeugte Vertreterin des Grundgesetzes – ihr Engagement gegen rechts und für eine klimagerechte Zukunft in den letzten Jahren könnte dabei durchaus als Beweis dieser Stellungnahme gedeutet werden. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft haben bisher nicht zu einer Verurteilung geführt.
Kapitalismuskritik und demokratisches Engagement schließen sich nicht aus
Kapitalismuskritik ist auch dem Bündnis “Ende Gelände”, welches sich gegen Kohleabbau und die Installation von Flüssiggasanlagen einsetzt, letzten Sommer endgültig zum Verhängnis geworden. Im neuen Bericht des Verfassungsschutzes werden sie als linksextremistischer Verdachtsfall geführt. Die Kritik des Verfassungsschutzes beinhaltet im Wesentlichen den Vorwurf antikapitalistischer und antifaschistischer Bestrebungen unter dem Deckmantel der Forderung nach Klimagerechtigkeit. Kapitalismuskritik wird dabei mit einer Ablehnung einer demokratischen Grundordnung gleichgesetzt. Dieser Vorwurf deckt sich mit dem, der auch Lisa Poettinger gemacht wird: “Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen”, genau genommen dem “Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München”. Die Organisation wurde vom bayerischen Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft.
Der Radikalenerlass: Verbeamtung nur denen, die den Staat nicht kritisieren
Der Radikalenerlass, auch Extremistenbeschluss genannt, wurde 1972 von der deutschen Regierung eingeführt, um möglichen “Staatsgefährder*innen” die Verbeamtung zu verweigern. Er wurde, zuletzt in Bayern 1991, wieder abgeschafft. Zu dieser Zeit hatte es vor allem linke Aktivist*innen getroffen, nur wenige rechte. Wichtig: Der Verfassungsschutz beruht auf einer Behörde, die mit Nazis aufgebaut worden ist und sich auch weiterhin nicht klar gegen rechts abgrenzt. Das sollte bei Einordnungen wie denen von “Ende Gelände” und dem “Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen” nicht vergessen werden. Die mangelnde Aufarbeitung der NSU-Morde haben das ebenso gezeigt, wie die langjährige Duldung ihres ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der immer wieder durch antisemitische, rechtsextremistische und verschwörungstheoretische Aussagen aufgefallen ist.
Linksradikal: Less radical?
Es zeigt sich gerade eine Krise der westlichen Demokratien, die von einem Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust in Politiker*innen und politische Institutionen geprägt ist. Diese stehen zunehmend unter dem Einfluss von privaten Interessen, statt ihre Rolle als gewählte Repräsentant*innen im Sinne des Gemeinwohls wahrzunehmen. Menschen wie Lisa Poettinger und Gruppen wie “Ende Gelände” und das “Offene Antikapitalistische Klimatreffen” können demnach nicht als mögliche Verfassungsfeinde eingeordnet, sondern sollten als Verteidiger*innen von Grund- und Menschenrechten, die Teil einer Demokratie sind, verstanden werden. Auch das Grundgesetz sieht nicht vor, welche Wirtschaftsordnung als demokratisch gilt. Eine Kritik am Kapitalismus schließt eine demokratische Grundhaltung also nicht aus.
Als linksradikal verstandene kapitalismuskritische Positionen und demokratisches Begehren müssen sich nicht ausschließen, im Gegenteil: (Links)radikale demokratische Forderungen sind Teil einer lebendigen demokratischen Auseinandersetzung und eine Stimme, die in der gegenwärtig rechten öffentlichen Debatte gehört werden muss.
Lisa Poettinger wartet nun auf die Anhörung, die Anfang Februar stattfinden soll. Im Falle einer Ablehnung wird sie rechtliche Schritte einleiten.