Nach stundenlangem Verhandeln fanden die Innenminister*innen der EU in Luxemburg zu einer Einigung. Asylverfahren sollen in Transitzentren an den EU-Außengrenzen stattfinden, auch für Familien mit minderjährigen Kindern. Bundesinnenministerin Faeser bezeichnet den Tabubruch als “historischen Erfolg”.
Kein Recht auf Asyl
Es ist so weit. Beim Treffen der EU-Innenminster*innen in Luxemburg am Donnerstag ist die Entscheidung gefallen, die u.a. zahlreiche Aktivist*innen, Jurist*innen, Politiker*innen und Menschenrechtsorganisationen befürchtet hatten: Die vorgeschlagene Asylreform der EU soll eingeführt werden. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) schafft damit quasi das Recht auf Asyl ab.
Damit ändert sich für Flüchtende einiges. Kommt eine Schutzsuchende zum Beispiel aus einem sogenannten “sicheren Herkunftsland” oder einem Land mit einer niedrigen Zahl an erfolgreichen Asylbewerber*innen, unterläuft sie zukünftig ein Verfahren an der EU-Außengrenze. Ohne dass sie EU-Boden betreten darf, wird dann in einem Transitzentrum geprüft, ob ihre Fluchtgründe ein herkömmliches Asylverfahren überhaupt rechtfertigen. Ist die Antwort nein, so durchläuft sie ein Asylschnellverfahren.
Schnellverfahren gibt es in Deutschland schon, nämlich in Form des Flughafenasyls. Dieses endet aber viel häufiger als das herkömmliche Verfahren mit einer Ablehnung des Asylantrags. Das Schnellverfahren an den Außengrenzen soll, ähnlich wie an einem deutschen Flughafen, in einem Transitzentrum unter “haftähnlichen Bedingungen” mit einer Dauer von bis zu 3 Monaten stattfinden. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete den Vorstoß als “menschenrechtlichen Dammbruch”, Erik Marquardt, EU-Parlamentsabgeordneter der Grünen, sprach von “Internierungslagern”.
Die vorgetäuschte Menschlichkeit der Ampel
Die Ampel-Parteien, Grüne und SPD, kündigten im Vorfeld an, sich dafür einzusetzen, dass Familien mit minderjährigen Kindern ein solches Verfahren nicht unterlaufen müssten. Damit scheiterten sie anscheinend, denn der EU-Entwurf sieht vor, dass auch solche Familien in Transitzentren unterkommen können. Aber auch bei einem Erfolg wäre dieses Engagement nur durchsichtiges Theater gewesen, eine menschenwürdige Asylpolitik zeichnet sich nämlich nicht dadurch aus, dass Familien mit Kindern nicht in Haft müssen, sondern dass niemand es muss.
Auch war sich die Führung der Grünen offensichtlich der Unvereinbarkeit des Reformvorschlags mit ihrer eigenen Politik bewusst, als sie ihre Zustimmung in der Koalition damit begründete, dass sie auf EU-Ebene verhandlungsfähig bleiben wollten.
Im Tagesthemen-Interview zeigt sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stolz, dass “es keine rechtlichen Einschränkungen des Asylverfahrens” in den Transitzentren geben soll, und verkauft damit das absolut Mindeste als Errungenschaft deutscher Verhandlungsfähigkeit. Dass die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards in der EU selbst von einer Befürworterin der Reform nicht mehr als Selbstverständlichkeit angesehen wird, zeigt, wie sehr die EU ihre eigenen Ansprüche verfehlt – und dass die Bundesregierung daran nichts auszusetzen hat.
Veränderte Verteilung auf Mitgliedstaaten
Die Reform sieht ebenfalls vor, dass Geflüchtete gleichmäßiger auf die EU-Länder verteilt werden. Grundsätzlich ist das eine gute Idee, denn das bisherige Dublin-Verfahren nimmt vornehmlich die “Ersteinreiseländer”, also die Mittelmeerstaaten, in die Pflicht. Die Transitzentren werden jedoch zur Folge haben, dass der Aufwand der Bearbeitung von Asylanträgen weiterhin bei den Ersteinreiseländern, also die Länder, in denen Flüchtende zuerst europäischen Boden betreten, bleibt und diese weiterhin ein Interesse daran haben werden, diesen Aufwand mit allen Mitteln zu verringern. Eine Lösung des Dublin-Problems steht damit also nicht in Aussicht.
Von Ländern, die sich nicht an der Aufnahme von Geflüchteten beteiligen wollen, z.B. Polen oder Ungarn, werden Solidaritätszahlungen gefordert.
Nun soll die Reform von dem Europaparlament und den Mitgliedstaaten ausgehandelt werden, wonach das Gesetz beschlossen werden könnte. Damit steht die EU unter Zeitdruck, weil im nächsten Jahr die Europawahl ansteht, und Beschlussentwürfe normalerweise nicht in die nächste Legislaturperiode mitgenommen werden.
Anmerkung der Redaktion: Mehr zu der Abschiebepolitik in Deutschland und der EU gibt es im REVOLTE-Podcast. Hier anhören.