Internet-Held abgemahnt: Eine Missachtung der Demokratie

Content-Moderator*innen haben einen harten Job – und bislang oft keinen Betriebsrat. Einer, der für bessere Arbeitsbedingungen kämpfte, ist jetzt gefeuert worden. Mutmaßlich rechtswidrig.

Sie sehen die schlimmsten Dinge und das jeden Tag: Content-Moderator*innen. Denn sie entscheiden, ob gemeldete Beiträge bei Instagram, TikTok und Co. weiter angezeigt werden können oder gelöscht werden müssen.

Enthauptungen, Kinderpronographie und vieles mehr – All das zu sehen ist darum auch Teil des Arbeitsalltags von Cengiz Haksöz. Er arbeitet für das Dienstleistungsunternehmen Telus International in Essen, das für die bekannte Plattformen des Meta-Konzerns, also Facebook und Instagram, die Content-Moderation übernimmt.

Und Cengiz ist jemand, der Verantwortung übernimmt. Für seinen Beruf und für seine rund 1.800 Kolleg*innen bei Telus. Immer wieder macht er darum auf die harten Arbeitsbedingungen von Content-Moderator*innen aufmerksam. Damit verschafft er sich an seinem Arbeitsplatz Respekt und in der Politik Gehört. Letzteres droht jetzt für ihn zum Verhängnis zu werden…

Aber der Reihe nach: Um es seinen Kolleg*innen zu ermöglichen, ihre Interessen gegenüber ihrem Arbeitgeber zu vertreten, leiert Cengiz gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Gründung eines Betriebsrats an. Die beginnt immer mit der Wahl einer sogenannten Wahlvorstandes, der für die Durchführung der Wahl verantwortlich ist. Cengiz wird zum Vorsitzendes des Wahlvorstandes gewählt. Als solcher genießt er einen besonderen Kündigungsschutz, denn die Gründung von Betriebsräten darf nicht behindert werden.

Harter Arbeitsalltag der Content-Moderator*innen

Zeitgleich wird Cengiz über die Gewerkschaft ver.di von den Abgeordneten im Digitalausschuss des Deutschen Bundestages zu einem parlamentarischen Fachgespräch eingeladen. Im Reichstagsgebäude soll er von der Arbeit eines Conten-Moderators berichten und erklären, warum der Beruf so anstrengend ist und was getan werden könnte, um ihm und seinen Kolleg*innen zu helfen.

Die Einladung nimmt Cengiz an. Und berichtet, dass viele der Moderator*innen über die extremen Belastungen, die zu psychischen Erkrankungen führten klagen. Nicht verwunderlich, bei dem, was er und seine Kolleg*innen jeden Tag sehen.

Auch die Forderungen von ver.di und Cengiz sind eindeutig: sie verlangen mehr Verantwortung von den finanzkräftigen Tech-Unternehmen und ein Ende des Outsourcings, also der Auslagerung der Arbeit von Conent-Moderator*innen an Dienstleister*innen wie Telus. Denn Beschäftigte in den Auftragsfirmen haben meist deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen. Oft arbeiten vor allem Migrant*innen in der Branche, deren Arbeitserlaubnis und damit auch deren Aufenthaltsstatus von der Beschäftigung abhängig ist. Sie können sich also kaum für ihre Rechte einsetzen, weil sie Angst haben, sonst den Job und damit die Aufenthaltserlaubnis zu verlieren. Auch fordert Cengiz unter anderem Zugang zu externer psychologischer Betreuung für die Content-Moderator*innen, bessere Arbeitszeitgestaltungen sowie bessere Bezahlung in Form einer Gefahrenzulage.

Verantwortungsloses Verhalten von Plattformen und Dienstler*innen

Und die Anhörung hat Folgen. Folgen für Cengiz. Denn Telus ist mit seinen Ausführungen absolut nicht einverstanden. Die Reaktion des Unternehmens: sie stellten ihn von der Arbeit frei und verbaten ihn das Betriebsgelände – und damit auch die Räume des Wahlvorstandes – zu betreten. Heißt: Geht es nach Telus, kann Cengiz sein Ehrenamt als Wahlvorstandsvorsitzender nicht mehr wahrnehmen. Eine eindeutige Behinderung der laufenden Betriebsratswahl!

So sieht man das auch bei ver.di. Vorstandsmitglied Christoph Schmitz, das mit Cengiz lange zusammengearbeitet hat und den Fall kennt, erklärt: “Die Maßnahmen gegen ihn sind nicht nur illegal, sondern auch eine Missachtung der Demokratie!”

Christoph Schmitz: “Was wir hier sehen, ist ein Fall von Union Busting! Wir fordern die Rücknahme der Freistellung und das Zugangsrecht zum Betrieb und werden das zur Not auch einklagen. Und wir prüfen, ob wir die Behinderung der Betriebsratswahl gemäß § 20 Betriebsverfassungsgesetz anzeigen.” Den Verantwortlichen bei Telus droht dann eine Freiheitsstrafe.

Und das zurecht, ist der Gewerkschafter überzeugt: “Die Kolleg*innen sehen tagtäglich Videomaterial, das wir als Nutzer*innen von Digitalkanälen zu recht nie sehen sollen. Damit leisten sie einen hochrespektablen Beitrag für unsere Gesellschaft. Die Anerkennung, rechtliche Absicherung, angemessener Gesundheitsschutz und gerechte Bezahlung bleiben aber noch aus.”

Der Fall erregt Aufmerksamkeit, wird unter anderem auf Twitter viel geteilt:

Zurecht! Denn gerade Content-Moderator*innen, die unter schwersten Arbeitsbedingungen eine extrem wichtige Arbeit erledigen brauchen eine Vertretung im Betrieb, verdienen starke und engagierte Betriebsräte. Betriebsräte wie Cengiz eben.

Und klar ist: Vor Cengiz steht jetzt ein anstrengendes Verfahren. Doch das wird der Content-Moderator durchhalten. Er hat immerhin schon schlimmere Dinge gemeistert als Chef*innen, die demokratische Rechte missachten.


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team