Kein Vergeben, Kein Vergessen

4 Jahre Hanau

Heute ist es vier Jahre her, dass neun junge Menschen von einem Rechtsextremisten in Hanau ermordet worden sind. Vier Jahre, in denen Überlebende, Angehörige und Freund*innen mit dem Schmerz, der Angst und der Wut leben müssen. Und auch vier Jahre, in denen die Angehörigen immer noch keine Erklärung dafür bekommen haben, wie so etwas passieren konnte.

1. Was wussten die Behörden über den Täter und dessen Vater und wie wurde mit diesen Informationen umgegangen?


2. Gab es Versäumnisse bei der Ausstellung der Waffenerlaubnisse für den Täter? Hätten rechtliche Möglichkeiten bestanden, die Erteilung zu versagen?

Wenn so etwas Schreckliches passiert, dann würde man erwarten, dass Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden, um die Tat aufzuklären, oder? Fehlanzeige!

Erstmal passierte gar nichts und dann mussten die Angehörigen monatelang dafür kämpfen, dass überhaupt ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, der die Nacht rekonstruieren soll. Es ist unfassbar, dass hier Betroffene eine Aufgabe übernehmen mussten, die eigentlich das Land Hessen hätte erfüllen müssen.

3.  Warum war die Notrufnummer 110 am Tatabend für Vili Viorel Păun und andere nicht erreichbar? Wer in den Behörden und in der Politik wusste von denr Notrufproblemenatik in Hanau?

4. Welche Verantwortung tragen Hessische Behörden dafür, dass der Notausgang am zweiten Tatort verschlossen war? Gab es einen Informanten der Sicherheitsbehörden in der Arena-Bar?

Ende 2023 kam nach 2 Jahren Untersuchungsausschuss endlich der Abschlussbericht – und der war für die Angehörigen ein Schlag ins Gesicht: nur die wenigsten Fragen der Familien werden überhaupt beantwortet, das Verhalten von Polizei und Behörden wird kaum problematisiert und am Ende bleiben fast mehr Fragen als davor.

5. Was haben die Polizeikräfte an den Tatorten getan, um alle Opfer möglichst schnell zu finden und sie schnellstmöglich ärztlich zu versorgen?

6. Welche Einsatzstrukturen wurden am Tatabend von welchen Polizeistrukturen eingerichtet? Wann genau hat der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen?

Insbesondere die Rolle der Polizei ist nicht hinreichend aufgeklärt worden:, Fakt ist, dass sie in der Tatnacht schlichtweg nicht erreichbar war, Notrufe gingen immer wieder ins Leere. Im Untersuchungsbericht wurde festgehalten, dass das veraltete Notrufsystem  bei zu starker Belastung kapitulierte, weiterhin war die Polizei in Hanau dauerhaft unterbesetzt. Doch was folgt aus diesen Erkenntnissen? Anscheinend nicht viel, denn alle Verantwortlichen von damals sind entweder befördert worden oder arbeiten immer noch in ihrem Job.

7. Wann genau wurde in den Polizeistrukturen bekannt, dass es sich um einen rassistisch motivierten Anschlag handelt? Bis wann wurde von einem anderen Tathintergrund ausgegangen und wie wirkte sich das aus?

8. Welche Versäumnisse gab es beim Polizeieinsatz am Täterhaus, warum wurde erst so spät gestürmt? Welche Rolle spielten die 13 SEK-Beamten, die später in rassistischen Chats aufgefallen sind?

Auch der verschlossene Notausgang in der “Arena Bar” war erneut Thema: die Polizei hatte immer wieder den Notausgang verschließen lassen, um bei Razzien Menschen den Fluchtweg abzuschneiden. Die Verantwortung für den verschlossenen Notausgang schiebt die Polizei jetzt auf den Besitzer der Bar ab, schließlich sei er doch verantwortlich für die Fluchtwege. Zeugen, die das bestätigen, wurden als “unglaubwürdig” abgestempelt.

9. Welche Versäumnisse hat es bei dem Umgang mit Überlebenden und den Familien der Ermordeten am Tatabend und danach bei der Obduktion der Leichname gegeben?

10. Gibt es Zusammenhänge zwischen den Taten am 19. Februar 2020 und dem polizeibekannten Vorfall im März 2017, bei dem in Kesselstadt Jugendliche von einem Mann in militärischer Ausrüstung bedroht wurden?

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses bietet kaum Antworten auf die 10 Fragen der Angehörigen, die diesen Text in Abschnitte eingeteilt haben. Es sind nur 10 Fragen, auf die sich die Angehörigen und Überlebenden festgelegt haben, nur 10 Fragen, von denen keine einzige beantwortet wurde, bei der niemand  die Verantwortung übernommen hat. Deswegen hat die “Initiative 19. Februar” jetzt die Website “Kein Abschlussbericht” ins Leben gerufen. Denn solange es keine Antworten gibt, gibt es auch keinen Abschluss.

Kein Vergeben, Kein Vergessen.

Wir gedenken Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz und Said Nesar Hashemi. 

Wir gedenken Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović und Vili Viorel Păun. 

Wir gedenken Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. 

Erinnern heißt Kämpfen.


Geschrieben von: Carla von Frieling

Carla von Frieling

Carla ist Aktivistin bei der Seebrücke und beschäftigt sich gerade mit Asyl- und Aufenthaltsrecht. Für REVOLTE schreibt sie über Seenotrettung, Bleiberecht und Rechtsradikalismus. Kontakt: @carla.vf auf Instagram