3 Jahre Hanau: Erinnern heißt Kämpfen

Nach dem rassistischen Anschlag 2020 hat sich leider nicht viel geändert. Rechtsextremismus ist immer noch die größte innenpolitische Bedrohung in Deutschland.

3 Jahre ist es jetzt her, dass ein Rassist in Hanau neun Menschen ermordet hat. Er hat neun Menschen ermordet, die seiner perversen Ideologie nach nicht das Recht hatten zu leben. Innerhalb von sechs Minuten. Der Täter hat öffentlich antisemitisch, antimuslimisch und rassistisch gehetzt, alles fein säuberlich dokumentiert in Videos und Texten. Diese Menschen mussten sterben, weil es sich hier um einen rassistischen Mord handelt, wären sie in den Augen des Mörders „weiß“ oder „deutsch“ gewesen, würden sie noch leben.

Aufklärung? Fehlanzeige

Zum Glück gibt es in Deutschland ja das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz, die solche Dinge aufarbeiten. Oder? Oder eher nicht. Denn auch nach drei Jahren ist die Tat noch immer nicht hinreichend aufgeklärt. Noch immer ist nicht klar, wie jemand seine Gewaltfantasien verbreiten und neun Menschen aus dem Leben reißen konnte, ohne dass jemand etwas mitbekommen haben will. Warum jemand, der ganz klar rechtsextrem auffällig geworden ist, 20 Jahre lang einen Waffenschein besitzen konnte. Noch immer ist nicht klar, warum die Polizei nicht zu erreichen war. Warum der Notruf von Vili Viorel Păun mehrmals ins Leere lief, sodass er selbst die Verfolgung des Täters aufnehmen musste und schließlich von diesem ermordet wurde. Wo war die Polizei?

Dein Freund und Helfer

Die Polizei war wohl mit Wichtigerem beschäftigt. Vielleicht damit, ein paar Razzien durchzuführen und Notausgänge abzusperren, wie auch in der „Arena Bar“, in der die Schüsse fielen. Im Nachhinein hat dann die Hanauer Polizei auch Einiges getan, um das zu vertuschen, wie das Recherche Kollektiv „forensic architecture“ herausfand: Videomaterial wurde nicht gesichtet, nur die Hälfte der Zeugen wurde befragt und im Tatortbericht kam der Notausgang gar nicht vor. Dabei hat sich bei Untersuchungen ergeben: Mindestens 5 Personen hätten sich retten können, wäre die Notausgangstür nicht verschlossen gewesen.

Diese Menschen mussten sterben, weil es sich hier um einen rassistischen Mord handelt, wären sie in den Augen des Mörders „weiß“ oder „deutsch“ gewesen, würden sie noch leben.

Und das Schlimmste ist, dass ausgerechnet diejenigen die Aufklärungsarbeit übernehmen mussten, die durch diesen Anschlag den größten Schmerz ihres Lebens erfahren haben: die Angehörigen. Ohne sie wären noch weniger als die ohnehin schon spärlichen Details ans Licht gekommen. Sie können noch immer nicht zur Ruhe kommen, weil die CDU-Landesregierung eine Aufklärung des Falls boykottiert und sie tagtäglich vom Vater des Täters terrorisiert werden, der sich immer noch in Hanau-Kesselstadt herumtreibt.

Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus

Und zwar nicht nur ein Problem, es sind tatsächlich zahlreiche. Rechtsextreme Gewalttaten nehmen immer weiter zu. Seit 1990 forderten sie mindestens 109 Todesopfer, die Dunkelziffer wird aber noch viel höher liegen. Die Bundesregierung ist auf dem rechten Auge blind. Ende 2020 wurde ein Paket mit 89 Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus verabschiedet, passiert ist bisher noch nichts. Faschist*innen kriechen langsam aber sicher in unsere Parlamente, Rassismus ist salonfähig und wer sich dagegen auflehnt ist einfach nur zu „woke“ oder betreibt „Identitätspolitik“. Das alles zeigt sich immer wieder, ein Friedrich Merz der von „kleinen Paschas“ spricht oder die Silvesternacht in Berlin, in der die Ausschreitenden nach Nationalität untersucht wurden. Als herauskam, dass es mehrheitlich Deutsche waren, forderte die CDU die Vornamen – um herauszufinden, wer “wirklich deutsch” ist.

Auch drei Jahre nach Hanau sind dieselben Fragen immer noch offen: Wie konnte das passieren? Warum wurde nicht vorher reagiert? Und wie kann verhindert werden, dass sich so ein rassistischer Anschlag jemals wiederholt?

Heute ist ein schwerer Tag. Für alle Angehörigen und Freunde, für alle Menschen, die fürchten müssen, selbst Opfer zu werden. Für alle, die in Deutschland täglich um ihr Leben fürchten müssen.

Wir gedenken Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz und Said Nesar Hashemi. Wir gedenken Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović und Vili Viorel Păun. Wir gedenken Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Erinnern heißt Kämpfen.


Geschrieben von: Carla von Frieling

Carla von Frieling

Carla ist Aktivistin bei der Seebrücke und beschäftigt sich gerade mit Asyl- und Aufenthaltsrecht. Für REVOLTE schreibt sie über Seenotrettung, Bleiberecht und Rechtsradikalismus. Kontakt: @carla.vf auf Instagram