ARBEITSKAMPF AUF DER AUTOBAHN: REVOLTE War beim LKW-Streik in Gräfenhausen

DIE HÄSSLICHSTE FRATZE DES KAPITALISMUS ist aktuell in Südhessen zu bestaunen. Es geht um GEWALT und AUSBEUTUNG, aber auch um SOLIDARITÄT. REVOLTE erzählt die Geschichte der streikenden LKW-Fahrer*innen von Gräfenhausen.

Seit über vier Wochen streiken rund 60 LKW-Fahrer*innen aus Asien und Osteuropa in Weiterstadt-Gräfenhausen, das liegt in Südhessen. Ihre Autos haben sie auf einer Autobahn-Raststätte ABGESTELLT und befinden sich dort nun auch im ARBEITSKAMPF. “Anfangs war die Situation unübersichtlich”, erinnert sich Robin Schäfer vom DGB Stadtverband Darmstadt, der seit mehreren Wochen fast täglich vor Ort auf der Raststätte ist und den Streik unterstützt, im exklusiven Gespräch mit REVOLTE. “Die Versorgung der Fahrer*innen gestaltete sich als schwierig, sie lief vor allem über deutsche Kolleg*innen, die ihre privaten Konten für Einkäufe zur Verfügung stellten.”

Robin Schäfer (mit Mütze) und anderen bringen Hilfsgüter zu den streikenden LKW-Fahrer*innen.

Hintergrund: Die Fahrer*innen streiken, weil sie SEIT MONATEN KEIN GEHALT erhalten. Auch werden sie scheinselbstständig beschäftigt und tragen damit den größten Teil des unternehmerischen Risikos der Spedition, für die sie arbeiten, selbst. Für die 13 bis 15 Stunden Arbeit am Tag erhalten sie zudem nur einen Tagessatz von circa 80 Euro – trotz Reisestress, körperlicher und geistiger Belastung.

Trotzdem sei “die Stimmung bei den Streikenden gut”, wie Robin Schäfer berichtet: “Sie wissen, welche Bedeutung ihr Streik hat und ernten auch aus ihrer Heimat sehr viel Zuspruch. Aufgeben will hier niemand. Nichts desto trotz ist die Lage, gerade aufgrund der ausbleibenden Zahlungen, weiter angespannt. Die Familien vieler LKW- Fahrer sind auf deren Einkommen angewiesen.”

Ausbeutung und Drohungen

Der Spediteur, ein polnischer Unternehmer, weist alle Vorwürfe zurück, SIEHT SICH ALS OPFER, auch weil ihm durch nicht getätigte Lieferungen hohe Vertragsstrafen drohen, und hat Anzeige erstattet. Seine Behauptung: Die Bedingungen seien in Ordnung; die Fahrer*innen würden nicht ausgebeutet, erhielten ihre Gehälter lediglich UNPÜNKTLICH, das hänge aber bloß mit der Zahlungsabwicklung zwischen der Spedition und ihren Kunden zusammen.

Spediteur Mazur geht mit aller Härte gegen die Beschäftigten vor. Auf den Parkplatz in Gräfenhausen schickte er an den letzten Wochenenden SCHLÄGERTRUPPS IN GEPANZERTEN FAHRZEUGEN, setzte die Fahrer*innen so unter Druck und versuchte, den Streik zu zerschlagen, den Fahrer*innen ihre Autos wegzunehmen. Außerdem erstattete er Anzeige. Auch die Raststätte versucht er auf seine Seite zu ziehen, setzt sie unter Druck, die Fahrer*innen wegzuschicken.

Robin Schäfer erinnert sich als Zeuge an die Eskalation zum Osterwochenende, also zwei Wochen nach Beginn des Streiks: “Zu sagen, das niemand mit so etwas gerechnet hat, wäre falsch. Die Fahrer berichteten von Tag 1 an von Einschüchterungen seitens des Unternehmens. Mit einer solchen Eskalation hat jedoch niemand von uns gerechnet. Zumindest nicht laut. Doch die Polizei hat zum Glück schnell interveniert und das polnische ‘Sicherheitsunternehmen’ sowie mehrere weitere Beteiligte festgesetzt. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt auch eine größere Anzahl von Gewerkschafter*innen vor Ort.”

Und weiter: “Nach einiger Zeit wurde die private Detektei sowie mehrere mitangereiste Personen zur Polizei gebracht und sind nun Gegenstand weiterer Ermittlungen, unter anderem wegen Nötigung, Störung einer Versammlung & schwerem Landfriedensbruch. Der Firmeneigentümer trägt jetzt Handschellen statt Rolex. Die Stimmung unter den Fahrern beruhigte sich recht schnell und es überwog am Ende das Gefühl, einen wichtigen Sieg errungen zu haben. Der Streik bleibt bestehen, alle LKWs sind nach wie vor in Gräfenhausen.”

UPDATE 21. APRIL, 18:35 Uhr: Direkt vom Rastplatz in Gräfenhausen erreichen REVOLTE exklusiv neue Vorwürfe gegen das polnische Speditionsunternehmen. So soll in Belgien ein Fahrzeug des Spediteurs von der Polizei beschlagnahmt worden sein. Der Grund: GEGEN SPEDITEUR MAZUR WIRD IN BELGIEN WEGEN MENSCHENHANDELS ERMITTELT. Update 21. April, 19:10 Uhr: Auch von Seiten der belgischen Justiz wurden uns entsprechende Ermittlungen bestätigt.

Gewerkschaft organisiert Hilfe für Beschäftigte

Inzwischen hat sich die Situation auf dem Rastplatz selbst jedoch etwas beruhigt. Doch trotz allem den Alltag zu meistern, ist eine immense Herausforderung. Denn die Streikenden können die Raststätte nicht einfach verlassen, ohne zu riskieren, dass es der Spedition gelingt den Streik zu brechen. Wie lebt es sich mit so einer Situation?

Kämpferisch und ausgelassen: Die Stimmung auf der Raststätte ist gut, Streikende und Helfende spenden sich gegenseitig Kraft und Mut

“Den Kollegen geht es den Umständen entsprechend gut. Am letzten Wochenende feierten wir zum Beispiel gemeinsam das Orthodoxe Osterfest”, antwortet Robin Schäfer, der auch die Wichtigkeit des gewerkschaftlichen Netzwerks vor Ort betont: “Zu Beginn lief die Versorgung vor allem über Einzelpersonen aus den Gewerkschaften sowie der Katholischen Kirche. Inzwischen wird der tägliche Bedarf vor allem durch Spenden von Einzelpersonen oder auch Organisationen gestemmt. Wir sind was das anbelangt zwar nur noch auf Abruf, wenn etwas fehlt. Trotzdem ist es wichtig, dass wir hier auf ein breites Bündnis zurückgreifen können, zum Beispiel wenn kurzfristig ein Arztbesuch vonnöten ist.”

Und die Fahrer*innen erfahren auch weiterhin Solidarität. International solidarisieren sich LKW-fahrende Kolleg*innen mit ihnen. In Hessen ist regelmäßig DGB-Vorstand Stefan Körzell vor Ort, die DGB-Arbeitsgruppe Faire Mobilität berät die Streikenden und verhandelt für sie mit der Raststätte. Außerdem wurde vom DGB ein Spendenkonto eingerichtet. Mit all dem konnten die Fahrer*innen jetzt Verhandlungen mit dem Speditionsunternehmen erzwingen. Sie verlangen von Mazur die Begleichung ihrer vollen offenen Forderungen, bevor sie den Streik beenden. “Natürlich zehrt die Situation an den Fahrern, doch die sind gewillt trotz alledem den Kampf so lange fortzuführen, bis jeder sein Geld bekommen hat”, erklärt Robin Schäfer. “Der Kampf vor Ort unterscheidet sich dann ja doch ein wenig von dem, was man während Tarifverhandlungen kennt. Der Anfang war etwas holprig doch jetzt bin ich, auch wenn sich aktuell noch keine Lösung abzeichnet, dennoch frohen Mutes.”

Hoffnung in Gräfenhausen: Auf einem Plakat machen die streikenden LKW-Fahrer*innen Werbung für ihre Verhandlungen, darunter erinnert ein DGB-Banner an die Macht der Solidarität

Hinzu kommen immer wieder Solidaritätsbesuche wie der vom rheinland-pfälzischen Arbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD) und mehrerer EU-Abgeordneten. Vor allem aber ehrenamtliche Helfer*innen sind seit Wochen täglich vor Ort, bringen Kleidung und Lebensmittel, leisten Gesellschaft und organisieren Spenden und Aufmerksamkeit. “Auch aus den lokalen Parteien sowie der Landesspitze der Parteien erfahren die Fahrer Zuspruch und Solidarität”, berichtet Robin Schäfer. “Dennoch bleibt natürlich ein gewisser Beigeschmack, wenn der Arbeitsminister aus Rheinland-Pfalz anreist, sein hessischer Amtskollege (Kai Klose, GRÜNE Anm. d. Red.) allerdings nicht.”

Helfer*innen fordern mehr Unterstützung

“Da geht deutlich mehr”, sagt Robin Schäfer darum auch auf die öffentliche und politische Unterstützung in Gräfenhausen angesprochen. Die Forderung des DGB-Funktionärs: “Der Sumpf der Scheinselbstständigkeit und des Lohndumpings gehört europaweit ausgetrocknet. Gegen Unternehmen, welche darauffolgend dagegen verstoßen, muss rigoros vorgegangen werden. Auch stehen Forderungen nach mehr und strengeren Kontrollen im Transportgewerbe im Raum sowie die Forderung Verdis nach einer Sozialmaut.”

Übrigens: Robin Schäfer und viele andere Helfer*innen vor Ort unterstützen die Fahrer*innen rein ehrenamtlich, bekommen also für ihren langen Einsatz KEIN GELD: “Das braucht es aber für mich auch nicht. Den Kolleg*innen solidarisch beiseite zu stehen ist uns Lohn genug, auch wenn es zwischenzeitlich stark an die Substanz ging.”

Der Fall in Gräfenhausen ist also ein Weckruf! Ein Weckruf für eine bessere Durchsetzung von Arbeitnehmer*inneninteressen europaweit einzustehen. Denn ohne LKW-Fahrer*innen steht unsere Gesellschaft still, kommen wichtige Güter nicht da an, wo sie gebraucht werden. Für die Fahrer*innen ist das ein anspruchsvoller, ein stressiger Job. Dass sie auch noch ausgebeutet werden, GEHT GAR NICHT.

So sieht das auch Robin Schäfer, der den Streik in Gräfenhausen darum weiter unterstützen wird. Für ihn steht fest: “So lange wie unsere Hilfe gebraucht wird, werden wir die Kollegen unterstützen!”

WER DIE STREIKENDEN LKW-FAHRER*INNEN UNTERSTÜTZEN MÖCHTE, FINDET HIER DEN SPENDENAUFRUF DER KAB UND DES DGBs.


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team