Der neue Abschieber: Sonderbevollmächtigter der Regierung will Asylverfahren im Herkunftsland durchführen

Joachim Stamp (FDP), der neue Sonderbevollmächtigte für Migration, hat viel vor. Darunter die Erhöhung der Abschiebungen und sogar ein neues Asylverfahren. Seine Vergangenheit lässt aber Schlimmes erahnen.

Im Dezember war es so weit: Nachdem die FDP schon länger darauf gepocht hatte, ernannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) endlich den neuen Sonderbevollmächtigten für Migration. Mit Joachim Stamp, bis dahin FDP-Landesvorsitzender in NRW, fiel laut Faeser die Wahl auf “einen der erfahrensten Köpfe hierfür”

Auch FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr begrüßte die Entscheidung und damit die “Neuausrichtung unserer Einwanderungspolitik”. Über Dürrs gewünschte Migrationspolitik hatte REVOLTE bereits berichtet: Er schlug vor, Klimahilfen für Herkunftsländer zurückzuhalten, solange diese Geflüchtete und Migrant*innen in Abschiebeverfahren nicht wieder zurücknehmen. Es ist also wenig überraschend, dass auch für Parteikollege Joachim Stamp Migrationspolitik nur eine Verhandlung ist, in der er für die Bundesregierung den günstigsten Deal rausschlagen kann. Als Sonderbeauftragter fordert er “mehr reguläre und weniger irreguläre Migration”, laut ihm eine Notwendigkeit, um den deutschen Wohlstand zu erhalten.

Joachim Stamps fatale Pläne

Mit seinem neuesten Vorschlag zieht der Sonderbevollmächtigte nun Aufmerksamkeit auf sich: In neuen Migrationsabkommen mit Herkunftsländern möchte er die Asylverfahren, die über eine Einreise nach Deutschland entscheiden sollen, in die Herkunftsländer verlegen. Im Austausch für ihre Kooperation würde den Partnerländern eine bestimmte Anzahl an deutschen Visas zur Verfügung gestellt. So “würden auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden,” so der FDP-Politiker über die Praxis, die unweigerlich an Pushbacks erinnert. Ob eine Grundlage für humanitäres Asyl vorliegt, soll dann ebenfalls von den Partnern geprüft werden.

Dass solche Partnerschaften mit Afghanistan, Syrien oder Libyen unmenschlich wären, so geistesgegenwärtig ist Stamp schon. Aber dass auch Abschiebungen in Länder wie z.B. Marokko oder den Sudan Menschenrechtsverletzungen, Folter und Tod für Geflüchtete bedeuten, dass politisch Verfolgte in jedem Herkunftsland, aus dem sie geflohen sind, nicht sicher sind – dazu keine Stellungnahme. 

Weiterhin will der Migrationsbeauftragte bessere Bleibeperspektiven für Migrant*innen und potenzielle Fachkräfte schaffen. Das soll für Menschen gelten, die jahrelang in Deutschland leben und die hiesigen Regeln befolgen, aber auch für Pflegekräfte wie aus Südamerika, die kulturell schnell zu integrieren seien. Doch seine Vorhaben offenbaren ein verachtendes Menschenbild und ein grundsätzliches Missverständnis von Flucht. Der Wert einer Person bemisst sich nicht daran, wie viel sie für einen tun kann oder wie gebildet sie ist. Für Menschen, die Flucht und Vertreibung erfahren, die ihr Leben nicht in Würde und Sicherheit bestreiten können, für diese Menschen kann Artikel 1, Paragraf 1 des Grundgesetzes (“Die Würde des Menschen ist unantastbar”) nicht willkürlich ausgesetzt werden.

Schon in NRW ein Abschiebe-Enthusiast

Bereits als Integrationsminister in NRW unter der ehemaligen schwarz-gelben Regierung brüstete sich Joachim Stamp damit, deutschlandweit die meisten Abschiebungen durchgeführt zu haben. Mindestens einmal schlug er dabei in einem skandalträchtigen Fall über die Stränge: Im Juli ließ er den Tunesier Sami A. ohne Wissen seiner Anwälte und der Asylbehörde heimlich abschieben, obwohl die Abschiebung vorher gerichtlich verboten wurde. Verwaltungsrichter verurteilten die Handlung als “grob rechtswidrig”. 

Seine bisherige Politik lässt ebenfalls ernsthafte Zweifel an seinem Ziel aufkommen, potenziellen Fachkräften einen einfacheren Weg in den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen: Es war wohlgemerkt die FDP, die sich trotz Koalitionsvertrag mit FDP-Generalsekretär Djir-Sarai gegen eine Reform der Staatsbürgerschaft ausgesprochen hatte, die es Einwander*innen erleichtern würde, in Deutschland zu bleiben. Auch das Rückkehrzentrum in Ghana, an dessen Gründung der derzeitige NRW-Minister beteiligt war, soll den aus Europa abgeschobenen Ghanaern eine Zukunftsperspektive nicht in Deutschland, sondern auf dem dortigen Arbeitsmarkt ermöglichen. Ein allzu großes Interesse, arbeitswillige Menschen auf dem deutschen Markt zu behalten, scheint es also nicht zu geben. 

Wozu brauchen wir einen Sonderbevollmächtigten?

Braucht die Bundesregierung einen Sonderbevollmächtigten für Migration? Die Gewerkschaft der Polizei zweifelt daran und auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hätte einen “Bleiberechtsbeauftragten” für die bessere Wahl gehalten. Zudem lässt Stamps Regierungs-Vergangenheit Skrupellosigkeit und voreiliges Handeln erwarten. Die Antwort lautet also NEIN. 

Denn die Wahrheit ist: Der Sonderbeauftragte will mit Ländern kooperieren, deren Zustände Menschen zu einer lebensgefährlichen Reise über das Mittelmeer zwingen – durch staatlich gestützte Pushbacks. Nicht einmal sein vermeintliches Interesse an Arbeitskräften spiegelt sich in seinen bisherigen Handlungen wider. Und grundsätzlich verkennt er mit seiner Rückführungsoffensive die Chance, die sich durch die Integration und Ausbildung bereits anwesender Geflüchteter bietet. 

Wenn die Süddeutsche Zeitung ihn also “Anwerber und Abschieber” nennt, dann hat sie wohl nur mit einem der Titel wirklich recht. 


Geschrieben von: Amy Amoakuh

Amy Amoakuh

Amy ist Chefredakteurin der REVOLTE. Sie beschäftigt sich neben Sprachwissenschaft auch mit Sozialpolitik und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Fragen, Anmerkungen oder Kommentare bitte an @a_amoakuh auf Twitter.