Keine Zwangsgutachten mehr! Schluss mit dem Deadnaming! Was steht drin im neuen Selbstbestimmungsgesetz?

Foto einer trans-inklusiven Demo, im Vorderung: die trans pride flag. Darauf der Text: trans Rechte stärken

Endlich ist er offiziell veröffentlicht: Der Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz, das die Rechte von trans Personen stärken sollen. REVOLTE hat ihn gelesen. Alles, was drin steht, auch die Sonderregeln für den Kriegsfall, haben wir hier zusammengefasst.

Es hat ganz schön lange gedauert.

Einerseits von der Einführung des Transsexuellengesetzes 1980 bis ins Jahr 2023.

Andererseits aber auch vom Beginn der Ampel-Regierung bis heute, bis es das grün-geführte Familien- und das FDP-geführte Justizministerium geschafft haben, einen gemeinsamen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vorzulegen.

Immerhin: Jetzt liegt der Gesetzesentwurf offiziell vor und das parlamentarische Verfahren zu seiner Verabschiedung beginnt. An dessen Ende wird auch das Ende des Transsexuellengesetzes stehen. Überfällig. Weil es trans Personen viel zu lange, nämlich 43 Jahre lang, diskriminiert hat. Obwohl trans Menschen, wie alle anderen auch, eine Politik verdienen, die bedingungslos und mit größter Leidenschaft alles dafür tut, um ihre Menschenwürde zu verwirklichen und zu verfestigen.

Aber wird was lange währt auch endlich gut? REVOLTE prüft den Gesetzesentwurf!

Das TSG wird abgeschafft – Das wird besser mit dem Selbstbestimmungsgesetz

Fangen wir mit dem größten Fortschritt an: Künftig soll für eine Änderung des Geschlechtseintrags keine Person mehr ein Gerichtsverfahren durchlaufen müssen oder ärztliche Bescheinigungen und psychologische Gutachten benötigen. Heißt: Die bisherigen, teuren und demütigen Verfahren auf dem Weg zur Selbstbestimmung werden gestrichen.

Zur Erinnerung: Bislang braucht es für die Änderung des Geschlechtseintrags gleich ZWEI PSYCHOLOGISCHE GUTACHTEN, von Ärzt*innen, die sich die trans Person nicht selbst aussuchen darf,  aber SELBST BEZAHLEN muss. Kostenpunkt: durchschnittlich 1.900€!

Obwohl sie sich ja trans zu sein und den falschen Personenstand hinterlegt zu haben, nicht ausgesucht hat. Und hier NIEMAND zu Schaden kommt, sondern nur ein paar Buchstaben geändert werden

Zukünftig genügt nun eine einfache Erklärung beim Standesamt, um den Geschlechtseintrag zu ändern – oder sogar ganz zu streichen. Auch den eigenen Vornamen kann man dann entsprechend anpassen. Das geht dann theoretisch sogar einmal im Jahr. Allerdings jeweils nur mit drei Monaten Vorlauf.

Auch Kinder und Jugendliche können dann Vornamen und Geschlechtseintrag ändern. Bei unter 14-Jährigen müssen die Eltern die Änderungserklärung abgeben. Über 14-Jährige können dies mit Erlaubnis der Eltern dann sogar selbst tun. In Streitfällen entscheidet bei über 14-jährigen ein Familiengericht.

Und auch wenn der Geschlechtseintrag angepasst und der Name geändert ist, schützt das neue Selbstbestimmungsgesetz die Rechte der trans Personen: Denn Deadnaming und Missgendern, also das bewusste Anreden mit Geburtsnamen und falschen Pronomen, wird mit dem neuen Gesetz als Ordnungswidrigkeit eingestuft. 

Strafandrohung: Bis zu 10.000€! 

Frauensauna-Ausnahme hat es in Gesetzesentwurf geschafft

Allerdings: Hier gibt es eine Ausnahmeregelung, die Personen betrifft, an denen ein “besonderes öffentliches Interesse” besteht. Was das heißen soll? Da bleibt der Entwurf VIEL ZU UNKLAR.

Und damit sind wir bei den Schwachstellen des Gesetzes. Fangen wir mit dem Symbol-Thema schlechthin an: Frauensaunen. REVOLTE berichtete. Im Rahmen des Hausrechts soll es tatsächlich möglich bleiben, im Einzelfall nach körperlichen Merkmalen statt Geschlechtseintrag zu differenzieren.

Heißt übersetzt: SCHWANZVERGLEICH VOR DER SAUNA-TÜR!

Dabei ist es nicht mit Evidenz belegt, dass Männer ihren Personenstand mit allen Konsequenzen ändern, um in Schutzräume von Frauen einzudringen. Niemand tut so, als sei er trans. Denn Männer, die Frauen Gewalt antun wollen, TUN DAS BEREITS. Die brauchen dafür kein Selbstbestimmungsgesetz!

Viel wahrscheinlicher ist, dass eine Penis-Klausel für die Sauna zu weiterer Gewalt gegen trans Personen führen wird. Weil sie von cis Männern in der Herrenumkleide bedroht und angegangen werden. Trans Personen werden schließlich schon heute überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt. Während cis Männer die größte Täter*innengruppe ausmachen.

Das sieht auch die Frauenhauskoordinierung so, die bundesweit 260 Frauenhäuser und 270 Frauenberatungsstellen betreibt. Sie berichtet ganz im Gegenteil davon, dass trans Frauen schon seit Jahren in Frauenhäusern Schutz suchen und finden – ohne Probleme: “Die Bedrohungsszenarien, die bzgl. Selbstbestimmung heraufbeschworen werden, sind irreführend, weil trans* Frauen schon seit vielen Jahren in Frauenhäusern Schutz finden.”

Und auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes warnt, dass trans Personen damit in diesem Punkt zukünftig mehr Diskriminierung erfahren als vorher. EINE UNERKLÄRLICHE VERSCHLECHTERUNG!

Richtig absurd: Selbstbestimmungsgesetz mit Sonderregelung für den Verteidigungsfall

Weitere Ausnahmen sind vorgesehen. Zum Beispiel für den Sport: “Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden”, heißt es im Entwurf. Dies richtet sich wohl nur an die vergleichsweise kleine Gruppe der Leistungssportler*innen – aber: Diskriminierung bleibt Diskriminierung. Und die offene Formulierung öffnet auch im Breitensport Willkürr Tür und Tor.

Aber auch bei der Elternschaft sieht das Selbstbestimmungsgesetz unnötige und belastende Bürokratie vor: So bleibt ein trans Mann im Rechtsverhältnis zu seinem Kind eine “Mutter”, wenn er sich nicht vor der Geburt des Kindes geoutet hat. Immerhin kann die Bezeichnung auf der Geburtsurkunde andernfalls auf “Elternteil” geändert werden.

Richtig absurd wird es übrigens im Verteidigungsfall: Da müssen nämlich alle deutschen Männer an der Waffe dienen und helfen, Deutschland zu verteidigen. Steht im Grundgesetz. Und auch mit diesem Szenario beschäftigt sich der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz: Es soll im Verteidigungsfall außer Kraft treten. Auch hier glauben die Autor*innen des Entwurfs scheinbar, dass Männer sich sonst zu Frauen erklären, um nicht kämpfen zu müssen. Stattdessen die sexistische und unmoralische Regelung zum Verteidigungsfall zu streichen- daraufsind sie allerdings nicht gekommen.

Für den Entwurf ist das symptomatisch und bezeichnend. Man merkt ihm nämlich immer wieder an, dass er von Menschen mit Vorbehalten gegen trans Personen, mit Wissenslücken und Angst vor der Wirkung des Gesetzes geschrieben wurde. Das ist bitter. Denn trans Menschen verdienen – man kann es nicht oft genug sagen – eine Politik, die bedingungslos und mit größter Leidenschaft alles dafür tut, um ihre Menschenwürde zu verwirklichen und zu verfestigen.

Ein Entwurf ist noch kein Gesetz, Verbesserungen sind möglich – und notwendig

Trotzdem: Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein echter Schritt nach vorne. Zur Verwirklichung und Verfestigung der Menschenwürde von trans Personen.

Das Ende der Zwangsgutachten spart trans Personen nicht nur einige Tausend Euro und jede Menge Nerven, es macht Selbstbestimmung auch unbürokratisch und so niedrigschwelliger erreichbar.

Das Verbot von Deadnaming und Missgendern stärkt zudem die Rechte und Würde von trans Personen, gibt ihnen Sicherheit.

Und auch Kinder und Jugendliche bekommen endlich die Möglichkeit, für ihr Recht auf Selbstbestimmung einzutreten.

Das sind drei immense Schritte – ebenso überfällig wie unbestreitbar.
Aber klar ist auch: Im parlamentarischen Verfahren sind jetzt die Abgeordneten gefragt, die verbliebenen, teils drastischen Schwächen des Entwurfs noch aus dem Gesetz zu kicken!


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team