“Ich will zeigen, dass wir etwas verändern können!” – Juso-Kandidatin Sarah Mohamed im REVOLTE-Interview

Wer wird Vorsitzende*r der Jusos? Erstmals seit langer Zeit gibt es gleich zwei Bewerber*innen um den Job – und REVOLTE hat beide zum Gespräch getroffen. Hier das Interview mit der Bonnerin Sarah Mohamed.

Wer wird neue*r Juso-Chef*in?

Letzte Woche veröffentlichten wir hier auf REVOLTE dazu ein Gespräch mit Philipp Türmer, der sich unter anderem um den Job bewirbt.

Und heute?

Heute kommt Sarah Mohamed zu Wort!

Mohamed, 31, ist wie Türmer bereits stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos und auch sie will Nachfolgerin von Jessica Rosenthal, der aktuellen Juso-Chefin, werden. Als erste Schwarze und queere Frau.

Schreibt diese Bonnerin Juso-Geschichte?

Auch von Sarah Mohamed wollen wir wissen, was sie mit der Nachwuchsorganisation der SPD vorhat. Wir fragen sie außerdem, warum Politik in Deutschland immer noch so weiß ist und was sie besser kann als Philipp Türmer.

Sarah, Du willst Vorsitzende der Jusos werden. Auch Philipp Türmer aus Hessen bewirbt sich. Ungewöhnlich, dass es gleich zwei linke Kandidaturen gibt. Was denkst Du dazu?

Wir sind ein linker Verband, da überrascht es nicht, dass es mehrere linke Kandidaturen gibt. Ich sehe die Situation als Chance für den Verband: Beide Kandidat*innen müssen ihr “links” mit Leben füllen, eigene Schwerpunkte setzen, diese in konkrete Forderungen übersetzen und eben ein überzeugendes Bild davon zeichnen, wie die Jusos in den nächsten Jahren auftreten sollen.

Und mein Bild sieht so aus: raus auf die Straße, einhaken mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen und soziale Themen zusammen mit unseren Bündnispartner*innen in die Gesellschaft und in die Regierung tragen! Und überall, wo es die Sozialdemokratie nötig hat, unbequem und unerbittlich dranbleiben. Egal ob Kindergrundsicherung, Irrwege in der Innenpolitik oder der Kampf gegen die Klimakrise!

“Es reicht kein Platz am Tisch, wir brauchen einen neuen Tisch”

Du wärst die erste queere Frau of Color an der Spitze der Jungsozialist*innen. Welche Rolle spielt das für Dich?

Eine sehr große. Dabei geht es aber nicht um mich: Ich will einen Verband, in dem nun endlich auch junge, Schwarze und queere Menschen aufblicken und sich vertreten sehen können. Repräsentation allein beendet zwar nicht Unterdrückung, Gewalt und Ungleichheit, aber es könnte der Anfang einer dringend notwendigen Entwicklung sein. Dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, nicht teilhaben zu können, das hat mich früher sehr gehemmt. Und das darf es bei den Jungsozialist*innen einfach nicht mehr geben!  Damit sich was verändert, muss unser Verband ein Verband sein, der für alle linken, jungen Menschen da ist.

Willst Du ein Vorbild für andere von Queerfeindlichkeit- und Rassismus-betroffene Personen in der Politik sein?

Ganz einfach gesagt: Ich will Mut machen und zeigen, dass wir was verändern können. Dass BIPoC, dass queere Menschen, dass Menschen aus der Armut einen Platz bei uns haben und einen Unterschied machen können! Ich will zeigen, dass Teilhabe für marginalisierte Menschen möglich ist, wenn wir zusammen dafür kämpfen: in unserem Verband und in unserer Gesellschaft!

Du sprichst es an: Politik ist in Deutschland immer noch eine ziemlich weiße Angelegenheit. Auch engagieren sich mehr Männer als Frauen, nur wenige nicht-binäre Personen. Wie schaffen wir es, dass Politik die Vielfalt der Gesellschaft besser widerspiegelt?

Wir brauchen strukturelle Veränderungen bei der politischen Arbeit. Es reicht kein Platz mit am Tisch, sondern wir brauchen einen neuen Tisch. Wir müssen begreifen, wie weiße und männliche Netzwerke und Machtstrukturen funktionieren und müssen weg von alten Strukturen, die das begünstigen.

Mehr Transparenz und Durchlässigkeit können da helfen. Es braucht kulturelle Veränderungen. Toxisch männlich dominierendes Verhalten ist – auch bei uns – immer noch ein Erfolgsrezept für politische Karrieren. Marginalisierte Gruppen erfahren nicht nur im privaten, sondern auch im politischen Raum Diskriminierung sowie verbale und im schlimmsten Fall sogar sexualisierte Gewalt. Dafür braucht es Strukturen, die Anlaufstelle für Betroffene sind und präventiv wirken.

Und wir müssen auf jeder Ebene demonstrieren, dass es Realität ist, dass marginalisierte Gruppen in der Politik repräsentiert sind. Es braucht Menschen, die Vorbilder sein können und Menschen empowern, an den Strukturen teilhaben zu können.

“Gute Innenpolitik bedeutet Sicherheit für alle”

Gerade steht eine Landtagswahl in Hessen an. Spitzenkandidatin ist Nancy Faeser, die amtierende Bundesinnenministerin. Und als Innenministerin wettert sie gegen sogenannte Clan-Kriminalität, will das Asylrecht verschärfen und mehr Abschiebungen durchführen. Hat Faeser die Unterstützung der Jusos?

Meine persönliche Unterstützung hat Nancy Faeser nicht. Ich mache trotzdem in Hessen für tolle Genoss*innen Wahlkampf. Aber Faeser steht in vielen Teilen ihrer Asyl- und Migrationspolitik grundsätzlich dem entgegen, wofür ich seit Jahren kämpfe: ein Ende der Gewalt an den EU-Außengrenzen und Deutschland als gerechtes Einwanderungsland, wo allen Menschen Teilhabe und ein neues gutes Leben ermöglicht wird. Weg von rassistischen Narrativen und Gesetzen, die Geflüchtete gängeln, erniedrigen und einsperren!

Wie sieht gute Innenpolitik aus Deiner Sicht aus?

Eine gute Innenpolitik ist für die Bevölkerung da und nicht gegen sie. Sie betrachtet alle Menschen erst einmal als Menschen. Sicherheitsbehörden, die BIPoC, Queers oder linke Menschen ungerecht behandeln, ihnen Gewalt antun oder sogar töten, entsprechen nicht meinem Bild einer gerechten Innenpolitik.

Gute Innenpolitik heißt auch: offen sein für Kritik und für einen transparenten Umgang mit den Verfehlungen der eigenen Institutionen sorgen. Vertrauen schafft man mit konsequenten Aufarbeitungsprozessen und nicht mit der zehnten Leugnung von rassistischen Strukturen. Wir brauchen Antidiskriminierungsgesetze und keine noch weitreichenderen Befugnisse für die Polizei.

Eine gute Innenpolitik hört auf, arme Menschen, Geflüchtete oder FINTA zu gängeln. Sie beschützt Menschen: Immer noch erlebt fast jede FINTA (sexualisierte) Gewalt, häufig durch ihren (Ex-)Partner. Hier braucht es Schutz und ein konsequentes Vorgehen gegen patriarchale Gewalt. Rechte sind auf dem Vormarsch und zu häufig sind deutsche Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind oder haben sogar selbst rechtsextreme Strukturen in ihrer Organisation. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus muss an erster Stelle stehen. BIPoC, Queers und andere marginalisierte Gruppen erfahren täglich Gewalt.

Eine gute Innenpolitik bedeutet Sicherheit für alle.

Und wie definierst du politisch den Begriff “Sicherheit”?

Zentral ist für mich soziale Sicherheit. Armut oder die Angst vor Armut macht krank, schließt aus und kann Gewalt verursachen. Sicherheit muss bedeuten, dass alle in Frieden und in Freiheit leben können. Das muss auch Agenda für unsere Außenpolitik sein. Gerade die Klimakrise sorgt für enorme globale Unsicherheit, weil sie Armut, Vertreibung und Gewalt zur Folge hat. Deshalb können wir nicht länger über Klimaschutz schweigen, wenn wir über Sicherheit sprechen!

Die deutliche Kritik an Nancy Faeser kommt im Kanzleramt sicher nicht gut an. Hättest Du ein Problem damit, wenn Olaf Scholz genervt wäre von den Mohamed-Jusos?

Vorab zum Begriff: Wir brauchen keine “Mohamed-Jusos” und auch keine “Türmer-Jusos”. Was wir brauchen, sind Sozialist*innen, Feminist*innen, Antifaschist*innen, Antirassist*innen und Internationalist*innen. Und die haben wir – zum Glück – in allen Bezirken und Landesverbänden.

Und zu Olaf: Es ist kein Selbstzweck, Scholz und die eigene Regierung anzugreifen. Aber wenn diese zwischenzeitlich den sozialdemokratischen Kompass verliert oder sich klein macht, ist es die Aufgabe für uns als Jungsozialist*innen, unsere Mutterpartei damit zu konfrontieren und das auch lautstark. Ich habe diese Auseinandersetzung in der Vergangenheit nicht gescheut und scheue sie auch nicht in der Zukunft!

“Die Jusos müssen sich breiter aufstellen”

Wenn es in der Partei mal kracht – welche anderen Bündnispartner*innen sind für die Jusos denn aus Deiner Sicht besonders wichtig?

An erster Stelle die Gewerkschaften. Auf unsere Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsjugenden ist immer Verlass. Wir haben mit ihnen schon viele Kämpfe geführt, zuletzt erfolgreich für die Ausbildungsplatzgarantie. Hier ist der Drops aber auch noch nicht gelutscht: Wir kämpfen weiter, für eine Umlagefinanzierung, die effektiv mehr Ausbildungsplätze ermöglicht! Aber natürlich ist auch unsere Schwesterorganisation “Die Falken” sehr wichtig, insbesondere im Sozial- und Jugendbereich. Bei den Jugendorganisationen der Parteien will ich die Zusammenarbeit mit der Grünen Jugend intensivieren und gemeinsam der Ampel-Regierung gehörig Druck machen.

Wir müssen uns aber zwingend breiter aufstellen und weiter eintauchen in die vielen sozialen und linken Bewegungen unserer Zeit. Das muss unser politischer Modus sein: rein in die Betriebe, hin da, wo sich Menschen gegen soziale Ungerechtigkeit organisieren. Unterstützen und einhaken, aber auf jeden Fall auch: lernen! Gerade in der praktischen Organisationsarbeit können wir so viel lernen, z.B. von den Menschen, die sich bei Lieferando zusammenschließen, gegen einen Riesenkonzern und gegen Ausbeutung.

Unter Kevin Kühnert haben die Jusos gezeigt, wie sehr sie die SPD personell wie programmatisch prägen können. Du scheust den Konflikt mit dem Kanzler nicht. Aber was hast Du vor, um die Jusos dabei richtig wirkmächtig zu machen?

Starten wir mit einer Bestandsaufnahme: Wir Jusos sind der inhaltliche Motor der Sozialdemokratie und wir sind die Verbindung zu der Straße und zu sozialen Bewegungen. Wir geben Antworten, wie eine gerechte und antirassistische Migrationspolitik aussieht. Wir haben Bildungskonzepte und den Plan, wie gerecht umverteilt wird.

Wir können unterschiedliche linke Bewegungen vereinen, weil wir wissen, dass uns alle der Kampf gegen das kapitalistische System eint. Richtig wirkmächtig sind wir aber erst dann, wenn wir nicht nur den Kanzler nerven mit radikalen Forderungen, sondern wenn wir die Rechten und die Faschisten in unserem Land in die Schranken verweisen. Wenn wir durch die ganze Bevölkerung hinweg Menschen begeistern für unsere Vorstellung einer Gesellschaft der Freien und Gleichen.

Jeder neu gegründete Betriebsrat, jede Demo gegen Rechts, jede*r Nichtwähler*in, die*der wieder der Sozialdemokratie vertrauen schenkt, jedes Neumitglied ist dabei mehr wert als ein kluger Feuilletonartikel mit steilen Thesen.

Apropos: Das Profil der SPD leidet unter der Ampel. Wie kann die SPD das insgesamt ändern und hat die Ampel eine Perspektive über die Bundestagswahl 2025 hinaus?

Ich sehe, dass sich die SPD immer stärker als Kanzlerpartei versteht. Aber so droht die Gefahr, dass die SPD inhaltlich entkernt wird. Die SPD ist in keinem guten Zustand, wir brauchen dringend eine eigene Agenda.

Die Ampel wiederum ist keine Wunschkoalition. Mit der FDP ist keine Verteilungsgerechtigkeit zu machen. Selbst bei gesellschaftspolitischen Themen ist die FDP Bremserin. Auch wenn ich froh über Erreichtes wie die Abschaffung von Paragraph 219a bin, wäre doch so viel mehr möglich! Die Sozialdemokratie darf nicht nur vermitteln, sondern muss die sein, die Tag für Tag soziale und emanzipatorische Politik antreibt. Das muss sie jetzt in der Ampel tun. Gleichzeitig geht der Kampf weiter um linke Mehrheiten, denn nur so erreichen wir auch mehr Verteilungsgerechtigkeit.

“Für eine Welt, die allen Menschen gehört und nicht den Konzernen und Superreichen”

Reden wir über Dein Programm. Ein Begriff, der sich durch Dein gesamtes Kandidaturschreiben zieht, ist der des “Sozialismus”. Was bedeutet Sozialismus für Dich?

Die sozialistische Welt ist eine Welt, die allen Menschen gehört und nicht den Konzernen und Superreichen. Eine sozialistische Gesellschaft stellt sicher, dass niemand in Armut und Unterdrückung lebt, dass alle Kinder beste Bildung bekommen und dass wir in Gleichheit, Solidarität und Emanzipation zusammenleben. Soziale und unveräußerliche Rechte eröffnen allen Menschen Lebenschancen – wie dein Leben verläuft, hängt nicht länger vom eigenen Kapital (egal ob Erbe, Geldbeutel, Netzwerke etc.) ab. Infrastruktur, Unternehmen und die öffentliche Daseinsvorsorge sind vergesellschaftet – und werden demokratisch von den Menschen verwaltet, die dort arbeiten. Kolonialistische Strukturen sind dekonstruiert und patriarchale Gewalt beendet.

Werden wir konkret: Wie kann man den Kapitalismus überwinden?

Ehrliche Antwort: Schritt für Schritt mit viel Handarbeit. Es geht darum, Betrieb für Betrieb, Lebensbereich für Lebensbereich in den Blick zu nehmen und jeweils die Macht des Markts zurückzudrängen. Das kann der Arbeitskampf zusammen mit den Gewerkschaften bei Lieferando sein, das kann der genossenschaftliche Wohnbau sein, der Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit durch eine “Schule für Alle” (was in NRW nun auch SPD-Position ist), der Einsatz für eine Kindergrundsicherung.

Wir müssen dahin kommen, dass die Mehrheit der Menschen im Land den Kapitalismus als das erkennt, was er ist: eine Gesellschaftsordnung, die Armut nicht nur schulterzuckend duldet, sondern verstärkt; die die meisten von uns zwingt, sich kaputtzuarbeiten und auf der anderen Seite bei wenigen Menschen unvorstellbare Reichtümer anhäuft, die bis zum Klimakollaps Ressourcen auffrisst und unsere Lebensgrundlagen zerstört, die Bevölkerungsgruppen gegeneinander in Rassismus, Patriarchat und Antisemitismus aufbringt.

Und das schaffen wir mit solidarischen Momenten, mit sozialen Rechten, die wir für die Menschen erkämpfen und mit handfester Politik.

Auch der Kampf gegen die Erderhitzung ist eines Deiner Schwerpunktthemen. Kann Deutschland überhaupt noch schnell genug klimaneutral werden? Und geht das sozial-gerecht?

Das 1,5-Grad-Ziel ist der Kompass, der uns den einzigen tragbaren Weg aus der Klimakrise heraus aufzeigt. Die Hände in den Schoß legen ist keine Option.

Verantwortung übernehmen bei der Klimapolitik heißt: das tun, was nötig ist, um das 1,5-Grad-Ziel und somit unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Das heißt einerseits: radikal denken und nicht nur Maßnahmen in den Blick nehmen, die bequem sind. Das heißt andererseits aber auch: genau schauen, für wen es unbequemer wird. In meiner Vorstellung einer sozial-gerechten Klimapolitik wird es nicht die Supermarktverkäuferin mit dem Benziner-Corsa sein, für die es unbequemer wird. Es muss unbequem werden für die, die Hauptverursacher der Klimakrise sind, und das sind die Reichsten. Die müssen für den Klimaschutz zahlen.

Wir brauchen eine Industriestrompreisbremse, den ticketlosen Nahverkehr und die Investition in die Schiene. Und wir müssen die Betriebe demokratisieren, weil Beschäftigte die gute Arbeit und das gute Leben im Blick haben.

Mit Philipp Türmer eint Dich, dass Ihr Euch beide für ein gerechteres Steuersystem einsetzt. Unter anderem mit der Vermögenssteuer könnte der Staat ‘ne ganze Menge Geld einnehmen. Wohin sollte das am dringendsten investiert werden?

Wir brauchen jetzt erst einmal eine Kindergrundsicherung, die so weitreichend finanziert ist, dass sie in der Lage ist, ihren Zweck zu erfüllen: Kein Kind in Deutschland darf mehr in Armut aufwachsen! Weil es auch aktuell ist: Es braucht mehr politische Bildung in Deutschland, nicht weniger. Insbesondere jetzt, wenn die rechtsextreme AfD an Macht gewinnt, braucht es Demokratiebildung und Projekte, die insbesondere in den AfD-Hochburgen die demokratische Zivilgesellschaft stärkt.

Weiter geht’s mit der Infrastruktur: Die Verkehrswende wurde um Jahrzehnte verschlafen. Das “Deutschlandticket” hat ja gezeigt, dass die Menschen mit dem ÖPNV fahren wollen – jetzt brauchen wir aber mehr Verbindungen, mehr Züge, mehr Bahntrassen und Gleiskilometer. Und – oft vergessen – die Kommunen: Ich selbst komme aus Oberhausen, was man bei “strukturschwach” im Duden findet. Wenn die Kommune kein Geld hat, machen Jugendzentrum und Schwimmbad zu, die Kita wird teuer und die Busanbindung ein Gerücht.

Last but not least: Wir müssen global Verantwortung übernehmen. Unsere sogenannte Entwicklungszusammenarbeit muss intensiviert werden und geprägt sein von Wiedergutmachung im Globalen Süden.

“Die 4-Tage-Woche ist kein Trendthema, sondern immer schon Stoßrichtung der Sozialdemokratie”

Was sind sonst noch ganz konkrete Themen, für die sich die SPD dringend stärker einsetzen muss?

Lass uns über Arbeit, Arbeitszeit und Löhne sprechen! In Österreich wird gerade viel über die 4-Tage-Woche bzw. die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich debattiert. Das ist kein Trendthema, sondern immer schon historische Stoßrichtung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften! Wie viel mehr Lebensqualität hat denn allein die 40-Stunden-Normalarbeitszeit gebracht?

Mit einer 4-Tage-Woche gewinnen wir Zeit, die wir doch so dringend benötigen: für Freund*innen und Familie, für Sport und gesunde (bzw. gesündere) Ernährung, für die Pflege und Betreuung von Kindern und Angehörigen, für Kultur und Freizeit und natürlich auch für demokratische Teilhabe! Darüber hinaus können wir auch feministisch wirken: Eine 4-Tage-Woche kann insbesondere FINTA aus der “Teilzeitfalle” holen und den Arbeitsmarkt gleichberechtigter gestalten!

Ein Schwerpunkt Deiner Amtszeit wäre sicher auch die Europawahl im kommenden Mai. Bei der letzten Wahl zogen zwei Jusos über die SPD-Liste ins Europaparlament ein. Welchen Anspruch haben die Jusos 2024?

Jusos gehören weiter ins Europaparlament. Mit Delara Burkhardt haben wir eine superstarke Juso-Abgeordnete und das soll auch so bleiben. Sonst stimme ich hier auch mal Olaf Scholz zu: Die Ortsverbände müssen mehr im Europaparlament vertreten sein. Auch da kandidieren junge Genoss*innen. Olaf Scholz muss hier sein Versprechen einhalten und ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir die Jusos, die jetzt schon in den ostdeutschen Bundesländern für ein Europamandat in den Startlöchern stehen, den meisten Support bekommen! Wenn ich einen Juso-Europawahlkampf organisiere, dann aber einen, in dem wir die Werte der EU hochhalten an Stelle von EU-Flaggen!

Und politisch? Für was für eine EU stehen die Jusos? Vor fast 100 Jahren forderte die SPD zum Beispiel erstmals die Vereinigten Staaten von Europa.

Von den Vereinigten Staaten von Europa sind wir aktuell weiter entfernt als noch vor einigen Jahren. Wir müssen uns ehrlich machen: Wir kämpfen momentan gegen die Festung Europa, die Konservative und Rechte aktuell aufbauen wollen. Ich sehe uns im nächsten Jahr nicht die Europäische Union abfeiern. Was wir aber hochhalten werden, sind die Werte, für die unsere EU steht: Humanismus, Menschenrechte, gegen die Verfolgung von Queers, eine offene und soziale Gesellschaft und verdammt nochmal Verantwortung in der Klimapolitik.

Blicken wir voraus auf den Bundeskongress im November. Was überwiegt: Aufregung oder Vorfreude?

Vorfreude. Dass wir im Verband bis zum November nochmal intensiv inhaltlich streiten, finde ich sehr erfrischend. Und persönlich habe ich allein in den wenigen Tagen seit Bekanntwerden meiner Kandidatur enorm viel Zuspruch bekommen und aus Gesprächen gelernt. Ich freue mich. Schauen wir mal, was wird. Was wird.

FINTA = Frauen, Intergeschlechtliche, Nicht-binäre und agender Personen
BIPoC = Schwarze, Indigene und People of Color
Das waren die Interviews mit den beiden Kandidat*innen für den Juso-Vorsitz. Wie unser Autor nach seinen Gesprächen mit Philipp Türmer und Sarah Mohamed über den Wettbewerb um die Jusos-Spitze steht, lest ihr in seinem Kommentar.


Geschrieben von: Technik Team

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