Schon wieder Sommerloch: Dirk Wiese fordert Pflichtjahr

April, Mai, Juni, Pflichtjahr-Debatte: Eine mögliche Dienstpflicht für junge Menschen ist jedes Jahr Sommerloch-Thema. Und das obwohl ein Zwangsjahr gar nichts bringt.

Kein Sommerloch kommt ohne Debatte über “die Jugend von heute” aus. Meist wird erst gejammert, dann von gesellschaftlichem Zusammenhalt geschwafelt, um anschließend eine Dienstpflicht, ein Gesellschaftsjahr oder sonst wie benannte Zwangsarbeit für junge Leute fordern zu können.

Und auch in diesem Jahr bleibt die Debatte natürlich nicht aus. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sprach sich heute für ein Pflichtjahr aus. Neuer Name, gleicher Käse. Besonders bitter: In ihrem Parteiprogramm spricht sich die SPD klar GEGEN eine Dienstpflicht aus – Wiese stellt sich also gegen seine eigenen Genoss*innen:

Hinzu kommt: Aufgrund des absurden Sparfetisches von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant die Ampel bei den bestehenden – und sehr sinnvollen – Freiwilligendiensten zu kürzen: 78 Millionen Euro sollen da insgesamt eingespart werden. Vergleich gefällig? Die Einführung eines Freiwilligendienstes würde 15 MILLIARDEN kosten!

Und trotzdem reden wir jetzt schon wieder darüber. Das nervt doch. Seit Jahren schon. Weil die Debatte mit der gesellschaftlichen Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

Darum hier NOCHEINMAL die Argumente DAGEGEN:

Keine Aufwertung von sozialen Berufen

Zum einen, weil die Dienstpflicht-Pflichtjahr-Befürworter*innen so – durch die Hintertür – etwas gegen den Personalmangel in den sozialen Berufen tun wollen, statt DIE PROBLEME WIRKLICH AN DER WURZEL ZU PACKEN.

Beispiel Pflege: Studien zeigen, dass eine breite Mehrheit der ausgebildeten Pflegekräfte, die sich einen anderen Job gesucht haben, in die Pflege zurückkehren würden, wenn die Politik die Arbeitsbedingungen verbessern würde. GEREGELTERE ARBEITSZEITEN, BESSERE PERSONALAUSSTATTUNG, MEHR GELD. Keine Pflegekraft wünscht sich Zwangsarbeit. Dienstpflicht? Hilft nicht!

Von wegen “mehr Respekt”: Pflichtjahr wäre respektlos!

Zum anderen aber – und vor allem! – weil junge Menschen sich LÄNGST für Demokratie und Gesellschaft engagieren, OBWOHL IHNEN DABEI STEINE IN DEN WEG GELEGT WERDEN. Sei es Fridays For Future, Seebrücke-Initiativen oder in Gewerkschaftsjugenden: Junge Menschen engagieren sich auf vielfältige Weise. Und die, die das noch nicht machen, haben oft gute Gründe: Dass es anstrengend ist, nach den krassen Entbehrungen von drei Corona-Jahren seine Ausbildung abzuschließen, zum Beispiel, oder weil das Bafög ausläuft, wenn die Regelstudienzeit überschritten wird.

Statt also weiter über ein Pflichtjahr zu diskutieren, sollte DIE POLITIK viel lieber ihre HAUSAUFGABEN MACHEN und die Beteiligungschancen junger Menschen stärken. Denn hier wird es RICHTIG DREIST: Schließlich sind fast immer die größten Anhänger*innen eines Zwangsjahres GLEICHZEITIG auch die größten Gegner*innen des Wahlrechts ab 16. Ausgebeutet malochen? Klar! Dafür mitbestimmen? Lieber nicht.

Alternativen zu erzwungener Arbeit: Wie die Politik wirklich den Zusammenhalt stärken kann

Auch den sozialen Zusammenhalt kann ein Pflichtjahr nicht steigern. Was das könnte: Eine Kindergrundsicherung, die mehr Chancengerechtigkeit schaffen würde. Echte gesellschaftliche Teilhabe ist bislang nämlich vor allem vom Geldbeutel der Eltern abhängig. 

Randnotiz: Für die Kindergrundsicherung, die 12 Milliarden Euro kosten würde und damit KINDERARMUT ÜBERWINDEN könnte, ist laut Lindner kein Geld da. Aber für ein teureres Pflichtjahr schon? ARMES DEUTSCHLAND!

Doch damit nicht genug. Seit Jahren geht in Deutschland das Ausbildungsplatz-Angebot zurück. Gerade Hauptschüler*innen bekommen oft keine faire Chance im Berufsleben. Und nach der Ausbildung ist jeder zweite Arbeitsvertrag ohne Grund befristet. Dabei ist es unfair, von jungen Menschen zivilgesellschaftliches Engagement zu verlangen, während der Staat es ihnen noch nicht einmal ermöglichen kann, ihre Zukunft abzusichern. Statt eines Pflichtjahres braucht es darum die bedingungslose Umsetzung der Ausbildungsplatzgarantie, Azubi-Tickets und -Wohnheime sowie die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen.

Außerdem stehen junge Leute nicht erst seit Corona massiv unter Zeitdruck. In vielen Bundesländern ist mit G8 die Schulzeit verkürzt worden, um Schüler*innen schneller auf den Arbeitsmarkt werfen zu können. Gleichzeitig ist das Bafög – wie gesagt – an kurze Regelstudienzeiten gebunden. Wenn man die Ausbildungszeiten für junge Menschen wieder verlängert, braucht es keine Wehrpflicht-Nachfolge, denn auch das zeigen Studien: JUNGE MENSCHEN WOLLEN SICH SOZIAL ENGAGIEREN – HABEN ABER OFT EINFACH NICHT DIE ZEIT DAFÜR!

Und trotzdem diskutieren wir wieder einmal über ein Pflichtjahr. Eine Dienstpflicht. Was auch immer.

Gestern ging’s im Sommerloch noch um die Löwin von Kleinmachnow. Das war irgendwie gehaltvoller.


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team