Kultur- schlägt Klassenkampf? Schluss damit!

Für viele linke Themen gibt es gesellschaftliche Mehrheiten – die Vermögenssteuer unterstützen zum Beispiel bis zu 80% der Deutschen. Aber politische Mehrheiten gibt es für linke Ziele kaum. Woran das liegt? Das beantwortet Jan Bühlbecker in seiner neuen REVOLTE-Kolumne

Kommen eine Fabrikarbeiterin, ein alleinerziehender Vater und eine nicht-binäre Person, die gerade ihren Masterabschluss macht, in eine Bar…

…dann haben sie fast ausschließlich gemeinsame Interessen.

Nein, das ist kein Witz, dem beim Erzählen die Pointe abhandengekommen ist.

Und erst Recht ist es nicht (nur) auf die Bar bezogen.

Worum es geht: Menschen, die lohnabhängig beschäftigt oder (noch) von sozialen Sicherungssystemen abhängig sind, haben fast ausschließlich gemeinsame politische Interessen.

Was uns verbindet: Der Wunsch nach einem guten Leben – für uns, für alle

Das beginnt beim Kampf gegen Kinderarmut und für Chancengerechtigkeit in der Bildung.

  • Eine Kindergrundsicherung, ein modernes Schulsystem nach Vorbild der Hamburger Stadtteilschulen, kostenlose Tablets für alle Schüler*innen und Schulgebäude, die kernsaniert und bestmöglich ausgestattet sind.
  • Die – bereits erkämpfte – Abschaffung der Studiengebühren, die – noch zu erkämpfende – kostenfreie Meisterausbildung, eine Erhöhung der Mindestausbildungsvergütung und ein elternunabhängiges, zukunftssicheres Bafög.
  • Weiterbildungsmöglichkeiten während der beruflichen Karriere, niedrigschwellige öffentlich-organisierte Fortbildungsangebote zu allen Themen des Alltags und Senior*innenuniversitäten.

Es geht weiter mit der Forderung nach guten Arbeits- und Lebensbedingungen.

Und endet mit dem Anspruch auf soziale Sicherheit und das Recht auf Teilhabe.

Finanziert zum Beispiel durch den Kampf gegen Steuerbetrug durch Superreiche und ein gerechteres Steuersystem. Haben wir hier auf REVOLTE bereits drüber berichtet.

Die Mehrheiten sind da… zumindest zur Hälfte: Woran es gerade trotzdem scheitert

Theoretisch, das zeigen Umfragen, gibt es für fast alle der genannten Themen gesellschaftliche Mehrheiten.

Praktisch aber, das zeigen die letzten Wahlergebnisse, gibt es für sie keine politischen Mehrheiten.

DAS ist doch ein Witz?!

Leider nein.

Das ist das Ergebnis rechter Kulturkämpfe.

Vereinfacht funktioniert die politische Debatte in Deutschland nämlich gerade so: Immer wenn jemand eine gute, progressive Idee hat, beschwert sich ein*e Rechte*r auf X, vormals Twitter, dass im Vorschlag gegendert wird und zack, diskutiert das Internet über den Genderstern statt über die Vermögenssteuer.

Ganz konkret haben wir in den letzten Monaten wirklich vor allem über Themen gesprochen, die gar nicht die Kerninteressen der allermeisten Menschen hier berühren: Darüber, ob Dieter Nuhr gecancellt wird (Antwort: Nein!), darüber, wie weit nach Rechts wir in der Migrationspolitik rücken sollen (Ergebnis: viel zu weit!) und darüber, ob es nicht doch eine Dienst- oder Wehrpflicht braucht (Fazit: auch im nächsten Sommerloch nicht.).

Und dabei lassen wir dann unbewusst zu, dass während dieser absurden und destruktiven Diskursverschiebung auch noch Untergruppen der gesellschaftlichen Mehrheit gegeneinander ausgespielt werden. Aktuelles Beispiel: Ein existenzsicherendes Bürger*innengeld und eine satte Mindestlohn-Erhöhung sind gleichzeitig möglich. Aber während andauernd die Mär von den faulen Erwerbsarbeitslosen erzählt und mit der Forderung nach neuen Sanktionen und niedrigeren Regelsätzen verbunden wurde, haben sich so viele von uns weg von der Solidarität und hin zur Gier treiben lassen, dass plötzlich Friedrich Merz in der Kanzler-Umfrage in Führung liegt.

Der Ausweg aus dem rechten Kulturkampf: Unsere Solidarität!

Es ist übrigens auch kein Zufall, dass die Bürger*innengeld-Diskussion auf das Schuldenbremse-Urteil folgt. Denn nicht nur (Ultra-)Konservative und andere Rechte beherrschen den Kulturkampf. Auch Neoliberale schaffen es ziemlich gut, davon abzulenken, dass es zum Beispiel eine breite Mehrheit für eine Vermögenssteuer gibt – deren Wiedereinführung die einfachste Antwort auf das vermeintliche Haushaltsloch Ende letzten Jahres gewesen wäre.

Fazit: Kultur- schlägt Klassenkampf. Und dabei gewinnen immer die, die kein Interesse an progressiver Politik haben.

Eine wirklich frustrierende Entwicklung.

Aber, gute Nachricht zum Ende: Wir können sie umkehren.

Alle gemeinsam.

Indem wir uns nicht spalten lassen. Eigene Interessen bündeln. Ziele und – vor allem! – Konflikte reflektieren. Und den andauernden Whataboutism in Debatten stärker hinterfragen.

Kurzum: Weg vom Gegen- hin zum Miteinander.

Und das ist darum der beste Neujahrsvorsatz für das 2024: Zusammenhalten.

Und Solidarität zusammen gestalten!


Geschrieben von: Technik Team

Technik Team